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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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hatte ich die Vorstellung, wenn ich am Ball bliebe, würde ich es wieder sehen – die Leiche der Frau.« Bin ich zu ehrlich? Mein Verhalten gestern Nacht ist also ausgeufert – und? Macht mich das zu einer unzuverlässigen Zeugin? Hört die Polizei nur Leuten zu, die um zehn Uhr abends einen Getreidekaffee trinken, in ihren Flanellpyjama schlüpfen und den Rest der Nacht vernünftigerweise schlafend im Bett verbringen? »Ich habe noch nie zuvor eine Leiche gesehen. Einen ermordeten Menschen, der dann verschwindet. Ich stand unter Schock. Das tue ich wahrscheinlich immer noch.«
    »Warum sagen Sie ermordet?«, will Sam K. wissen.
    »Es ist schwer vorstellbar, wie sie durch einen Unfall so hätte enden können. Vermutlich hätte sie sich ein Messer in den Bauch stoßen, mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen und abwarten können, bis der Tod eintritt, aber das erscheint mir dann doch unwahrscheinlich. Es ist nicht gerade die naheliegendste Methode, wenn man Selbstmord begehen will.«
    »Ist Ihnen eine Bauchwunde aufgefallen?«
    »Nein, aber das Blut schien in der Bauchgegend am dicksten zu sein. Da war es fast schwarz. Ich muss wohl angenommen haben …« Ein tiefe teerige Schwärze, an den Rändern von hellerem Rot. Ein kleines Fenster, rechteckige Lichter auf der dunklen Oberfläche …
    »Connie?« Kits Gesicht verschwimmt vor meinem. »Bist du okay?«
    »Nein. Nein, nicht wirklich. Ich habe das Fenster gesehen …«
    »Versuch nicht zu reden, bevor der Schwindelanfall vorbei ist.«
    »… in dem Blut.«
    »Was meint sie damit?«, fragt Sam K.
    »Keine Ahnung. Connie, leg den Kopf zwischen die Knie und atme tief durch.«
    »Mir geht’s gut.« Ich schiebe ihn beiseite. »Mir geht’s wieder gut. Wenn nichts von dem, was ich bisher gesagt habe, Sie und dich überzeugt hat, dann wird das es tun«, rufe ich. »Das Wohnzimmerfenster spiegelte sich in dem Blut. Als der Raum sich drehte, drehte sich auch das Blut und das kleine Fenster. Das beweist doch, dass ich es mir nicht eingebildet habe! Niemand würde sich so ein dämliches, pedantisches Detail ausdenken. Ich muss es gesehen haben. Es muss real sein.«
    »Um Himmels willen.« Kit vergräbt das Gesicht in den Händen.
    »Und ihr Kleid – warum hätte ich mir so ein Kleid ausdenken sollen? Es war blassgrün-lila und gemustert, ein Muster wie aus lauter Sanduhren, mit wellenförmigen Längsstreifen.« Ich versuche, es mit den Händen zu demonstrieren.
    Sam K. nickt. »Trug sie Schuhe oder Strumpfhosen? Ist Ihnen Schmuck aufgefallen?«
    »Keine Strumpfhosen. Ihre Beine waren nackt. Ich glaube, Schuhe trug sie auch nicht. Aber einen Ehering. Ihre Arme waren gestreckt, über dem Kopf ausgestreckt. Ich erinnere mich, dass ich auf ihre Hände gesehen habe und … Ja. Da war eindeutig ein Ehering.«
    Und da war noch etwas anderes, aber mein inneres Auge weigert sich, den Blick darauf zu richten. Je angestrengter ich versuche, es auszumachen, desto stärker wird mir seine verborgene Gegenwart bewusst, wie eine dunkle Gestalt, die über eine scharfe Kante geglitten ist, außer Sicht.
    »Was geschah, nachdem Sie die Leiche auf Ihrem Laptop entdeckt hatten?«, fragt Sam K. »Was taten Sie, nachdem Sie sich überzeugt hatten, dass Sie nicht bluteten?«
    »Ich habe Kit aufgeweckt und ihn dazu gebracht, es sich ebenfalls anzusehen.«
    »Als ich ins Zimmer ging, war eine Küche auf dem Bildschirm zu sehen«, sagt Kit. »Dann kam das Wohnzimmer, und da war keine Leiche, kein Blut. Das habe ich Connie mitgeteilt, und sie kam herein, um sich selbst davon zu überzeugen.«
    »Die Leiche war weg«, bestätige ich.
    »Ich habe den Rundgang nicht neu geladen«, erklärt Kit. »Er lief noch, als ich ins Arbeitszimmer kam, der Rundgang, den Connie aufgerufen hatte, in einer Wiederholungschleife. Ich will gar nicht behaupten, dass es unmöglich ist, an einem virtuellen Rundgang durch ein Haus etwas zu verändern – natürlich ist das möglich –, aber das würde nicht den aktuellen Durchlauf betreffen. Es ist schlicht nicht möglich –«
    »Natürlich wäre es das«, schneide ich ihm das Wort ab. »Willst du etwa behaupten, dass ein virtueller Rundgang nicht so programmiert werden kann, dass bei jedem hundertsten oder tausendsten Durchlauf ein anderes Bild des Wohnzimmers gezeigt wird?« Na komm, Kit. Bist du nicht stolz auf deine Schülerin? Dir verdanke ich es, dass ich nicht länger unterschätze, was alles technisch machbar ist. Ein Computer, von der richtigen Person

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