Das fremde Haus
dass mein Geschenk ja immer noch eine Überraschung sei. ›Du weißt nur, dass es von Chongololo ist‹, hat er gesagt. ›Und nicht einmal das weißt du genau. Vielleicht ist die Tragetüte ja nur ein Täuschungsmanöver. Du weißt nicht, ob ein Kleidungsstück drin ist oder nicht‹.«
»Um Himmels willen, hör auf, dich selbst fertigzumachen«, sagt Fran. »Ich zeige dir, was ich bei Roundthehouses gesehen habe. Wenn du Kit dann noch vertrauen willst, ist das deine Sache. Komm.« Sie steht auf.
Automatisch tue ich das auch. »Wo gehen wir hin?«
»Nach nebenan, in die Bibliothek. Da können wir ins Internet.«
Das ist gut, versichere ich mir, als wir die Wendeltreppe hinabsteigen und das Schloss verlassen. Es ist eine Prüfung, und ich werde sie bestehen. Soll Fran doch ihre geheimnisvolle Trumpfkarte ausspielen. Ich weiß, dass auf diesen Fotos von Bentley Grove 11 nichts ist, das Kit belastet, also habe ich nichts zu befürchten.
Ich kann es kaum fassen, dass Fran so rasch bereit ist, das Schlimmste anzunehmen. Wie kann sie es wagen?
Wieder zurück im Glashaus mit einer großen Tüte Steine, was?
»Apropos Chongololo, wo ist eigentlich dein pinkfarbener Mantel?«, fragt sie, als wir über das Kopfsteinpflaster zur Bibliothek hinüber gehen.
»Mein Mantel? Es ist ziemlich warm, falls dir das noch nicht aufgefallen sein sollte.«
»Wo ist er?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich in meinem Kleiderschrank.«
»Der Mantel ist pink, Con. Wenn er in deinem Kleiderschrank hängen würde, würde er dir jeden Tag ins Auge springen.«
»Vielleicht hängt er an der Garderobe beim Hintereingang. Warum?«
»Ich würde ihn mir gern mal leihen.«
»Im Juli?«
»Du hast ihn seit Ewigkeiten nicht mehr getragen«, beharrt sie, ohne mich anzusehen. »Vielleicht hast du ihn ja weggeworfen.«
»Nein, das hätte ich nie … Oh, jetzt weiß ich, wo er ist – in Kits Auto, hinter den Kopfstützen der Rückbank. Da liegt er seit etwa zwei Jahren. Ich krame ihn für dich raus, wenn du ihn wirklich haben willst. Ich dachte, du hasst Pink.«
Frans Gesicht ist starr, als wir die Bibliothek betreten. Ich will ihr weitere Fragen stellen, aber sie ist damit beschäftigt, die Aufmerksamkeit einer Bibliothekarin auf sich zu ziehen. Rechts vom Haupteingang hat jemand vier graue Tische zusammengeschoben, sodass sie ein großes Quadrat bilden. Um den Tisch herum sitzen etwa zwanzig mittelalte bis alte Damen und ein junger Mann mit dem kleinsten Bärtchen, das ich je gesehen habe. Sie trinken grell orangefarbenen Tee aus Plastikbechern und unterbrechen einander ständig. Es muss sich um das Treffen eines Lesezirkels handeln. Auf dem Tisch liegen diverse broschierte Bücher mit dem Titel: Nach dem Regen. Ich würde mich gern einem Lesezirkel anschließen, aber nicht in Silsford. In Brixton vielleicht.
Die Kinderabteilung ist voll von Müttern, die ihre kichernden, kreischenden Sprösslinge anflehen, doch etwas leiser zu sein. Wenn unsere Mutter damals Fran und mich herbrachte, schwiegen wir still, sobald wir durch die Tür traten. Wir verständigten uns durch Gesten und Nicken, voll panischer Angst, man würde uns rauswerfen, sobald wir den Mund aufmachten. Sie muss uns angedroht haben, dass die Bibliothekare das tun würden. Ich erinnere mich, dass andere Kinder sich in begeistertem Flüsterton darüber unterhielten, welche Bücher von Enid Blyton sie bereits gelesen hatten und welche nicht. Ich fragte mich immer, warum sie nicht so eingeschüchtert waren wie ich.
Fran winkt mich zu sich heran. Ich weiß, gleich werde ich wieder Bentley Grove 11 zu sehen bekommen, und ich muss mich zwingen, vor den Bildschirm zu treten. Einen verrückten Moment lang male ich mir aus, Selina Gane würde hinter einem Bücherregal hervorspringen und mich beim Akt des virtuellen Ausspionierens ertappen: Warum sehen Sie sich immer noch mein Haus an? Warum lassen Sie mich nicht in Ruhe?
Ich stehe hinter Fran und wappne mich, ich warte darauf, dass sie den virtuellen Rundgang anklickt. Stattdessen klickt sie den Button direkt daneben an: Street View. Mit einem erneuten Klick vergrößert sie das Bild der Straße, als es erscheint, sodass es den ganzen Bildschirm ausfüllt. Es ist etwas unscharf, als wäre es von einem fahrenden Auto aus aufgenommen worden. »Das ist nicht Nummer 11«, sage ich. »Das ist auf der anderen Straßenseite, ein Stück weiter die Straße runter – Nummer 20 oder so.« Über das Bild sind weiße Linien und Pfeilsymbole gelegt,
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