Das fremde Jahr (German Edition)
ihren Spaß haben, jeder voll und ganz in seinem Leben ist, in der Chronologie seiner eigenen Geschichte, und ein vergnügliches Wochenende verbringt. Ich bin die Einzige, die diese Augenblicke nicht genießen kann, obwohl ich mit dem Fuß den Takt mitklopfe, um zu zeigen, dass ich mich amüsiere. Ich befürchte, dass ich den anderen leidtun könnte, ich geniere mich, weil die Freunde der Bergens, aufmerksam und zuvorkommend, wie sie sind, alles tun, damit ich mich ebenfalls amüsiere. Am unwohlsten fühle ich mich, wenn mich einer der Männer zum Tanzen auffordert und seine Frau vorübergehend sitzen lässt, die sich dem Anschein nach darüber freut, dass ihr Ehemann so charmant ist. Dann stehe ich unversehens auf der Tanzfläche, in den Armen eines Unbekannten, und versuche den richtigen Schritt zu finden, so wie ich normalerweise die richtigen Worte suche. Ich lasse mich von dem Mann führen, bin gezwungen zu lächeln, um locker und entspannt zu wirken, und konzentriere mich auf den Takt, weil ich mich nicht komplett blamieren möchte. Ich bin steif, viel unbeweglicher, als ich sein möchte, und erinnere mich an die Abende, an denen ich mit meinem Vater getanzt habe, bei der Hochzeit meiner Cousins, ich war ungefähr dreizehn damals, an die nicht enden wollenden Nächte in Restaurants auf dem Lande, wo die Musik bis zum frühen Morgen aufspielte. Die Nächte, in denen sich ein Walzer an den anderen reihte, die Paso dobles und die Marschmusik, während die Jungen sauer waren und in die Disko gehen wollten. Ich erinnere mich, wie mir mein Vater jeden Schritt gezeigt hat, mit seiner liebevollen Geduld, er, der vorbildlich tanzen konnte, während ich in meinem langen Kleid mehrmals stolperte, mich an seine Arme klammerte, von ihm führen ließ und damals mit mir und der Welt im Reinen war, während sich meine beiden Brüder über mich lustig machten, als sie mich auf der Tanzfläche sahen, weil sie vermutlich etwas eifersüchtig waren. Dieses Gefühl fällt mir wieder ein, das ich seither nicht mehr verspürt habe, als wenn es in eine frühere Zeit gehörte, in eine Epoche, die nun tabu war, jene, in der wir eine Familie gewesen waren; eine Familie, in der sich mein Vater und meine Mutter auf der Tanzfläche in die Arme nahmen, wenn eine Viertelstunde Tango kam. Alle haben sie beneidet, weil sie perfekt harmonierten. Mir kommen die Tränen, und ich konzentriere mich rasch wieder auf meine Füße, aber ich fühle mich linkisch und lächerlich, ich lasse mich widerstandslos führen, und bald schon hat sich ein Kreis um uns gebildet, ein Kreis von fröhlichen Menschen, die den Takt klatschen, als fände eine Einstandsfeier statt, als wäre ich eine Person des öffentlichen Interesses. Und plötzlich fühle ich mich wie ein Vorzeigeobjekt, eine Sehenswürdigkeit, die man zur Schau stellt, obwohl die Bergens und ihre Bekannten nur nett zu mir sein wollen; ich stehe gegen meinen Willen im Mittelpunkt und spüre die Blicke der Männer und Frauen auf meinem siebzehnjährigen Körper, ich spüre sie näher kommen und unter den roten und grünen Lichtern schwitzen, so fasziniert von mir, als würde ich gleich einen Bauchtanz vorführen; jemand dreht die Musik lauter, und das Fest ist auf seinem Höhepunkt, mein Tanzpartner wirbelt mich ein letztes Mal herum, bevor er mich an den nächsten Tänzer weitergibt; eine Zeitlang werde ich so von einem Mann zum nächsten weitergereicht und bereue, dass ich kein Bier mag, denn wenn ich ein bisschen getrunken hätte, stünde mir mein Verstand nicht so im Weg und ich würde die Realität nicht als so belastend empfinden.
Am nächsten Morgen räume ich die Diskothek auf, werfe die Essensreste, Pappbecher und das Plastikgeschirr in den Mülleimer, gehe mit dem Staubsauger durch, dann mit dem Aufwischlappen über den fleckigen Boden. Das hat mir niemand aufgetragen, aber es ist mir ein Bedürfnis, die Spuren der vergangenen Nacht zu beseitigen, ich muss aktiv sein, etwas bewältigen, organisieren, während ich noch wenige Stunden zuvor nichts entschied, die Erwachsenen über mich verfügen ließ, sie ihren Spaß mit mir haben ließ, als wäre ich ihr Spielzeug. Ich habe den ganzen Tag Zeit, um wieder Klarschiff zu machen, alles wieder auf Hochglanz und in Ordnung zu bringen, was durcheinandergebracht wurde. Ich muss den Raum auch lüften, um den kalten Zigarettengestank und die Schweißgerüche zu vertreiben, doch in der Diskothek gibt es kein Fenster. Die Gerüche haften sogar an den
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