Das Fremde Mädchen
fragte Cadfael sich – der pflichtbewußte Mönch oder der Sohn eines guten normannischen Hauses, der Sohn einer Familie, die mindestens so alt war wie die des Königs William, und obendrein noch ohne Beimischung von fremdem Blut. Natürlich war Stolz eine Sünde, die gerade ein Benediktinerbruder nicht begehen sollte, aber so etwas läßt sich nicht so leicht ablegen wie Abzeichen und Adelstitel.
Auch Haluin war seine leichte Überheblichkeit aufgefallen. Er errötete, als er es erkannte, doch er nahm kein Wort zurück. Er blieb abrupt stehen, schwang seine Krücken herum und packte Cadfaels Handgelenk. »Scheltet nicht mit mir! Ich weiß, daß Ihr es könntet, und Euer Gesicht zeigt mir, daß ich es verdient habe, aber verschont mich. Ich kann nicht anders. Oh, Cadfael, ich kenne alle Argumente, die Ihr mir mit Recht entgegenhalten könntet, ich selbst habe an sie gedacht, ich denke immer noch an sie, aber dennoch bin ich gebunden. Gebunden durch Gelübde, die ich nicht brechen kann noch will. Mein Abt mag mich für rebellisch und ungehorsam halten, meine Abtei mag mich hinauswerfen, das muß ich ertragen. Aber zurücknehmen, was ich im Gedenken an Bertrade gelobt habe, das könnte ich nicht verwinden.«
Die Röte, die nun sein bislang so bleiches Gesicht überzog, stand ihm gut, denn sie vertrieb den ausgemergelten, kranken Eindruck und ließ ihn sogar einige Jahre jünger erscheinen.
Schweigend stand er, hielt sich aufrecht und streckte den Rücken zwischen den fest aufgestemmten Krücken. Er war nicht umzustimmen, man mußte es akzeptieren.
»Aber Ihr, Cadfael«, sagte er, indem er das Handgelenk, das er schon hielt, noch fester packte, »Ihr habt keinen solchen Schwur abgelegt, Ihr seid nicht gebunden. Ihr braucht nicht weiterzugehen, Ihr habt alles getan, was von Euch erwartet wurde. Geht jetzt zurück und legt beim Abt ein gutes Wort für mich ein.«
»Mein Sohn«, sagte Cadfael mit einer Mischung aus Mitgefühl und Verzweiflung, »ich bin so fest gebunden wie Ihr, und das wißt Ihr genau. Ich habe den Auftrag, Euch zu begleiten, falls Ihr strauchelt, und Euch zu versorgen, wenn es dazu kommt. Ihr geht aus eigenem Entschluß, ich gehe im Auftrag des Abtes. Wenn Ihr nicht mit mir zurückkommen wollt, dann kann ich nicht allein zurückgehen.«
»Aber Eure Arbeit«, protestierte Haluin erschrocken, aber unnachgiebig. »Die meine kann warten, aber Euch wird man vermissen. Wie wird man so lange ohne Euch zurechtkommen?«
»So gut, wie man eben kann. Es gibt keinen lebenden Menschen, der nicht zu ersetzen wäre«, sagte Cadfael entschlossen, »und das ist gut so, weil die Lebenszeit der Menschen begrenzt ist. Nein, sagt nichts weiter. Wenn Ihr entschlossen seid, dann bin ich es auch. Wohin Ihr geht, werde ich Euch folgen. Da wir nur noch knapp eine Stunde Tageslicht haben und Ihr wohl nicht hier in Hales eine Bleibe suchen wollt, sollten wir allmählich aufbrechen, um unterwegs ein Nachtlager zu finden.«
Als Adelais de Clary am nächsten Morgen aufgestanden war, ging sie wie gewohnt zur Messe. Sie war, was ihre religiösen Pflichten und das Geben von Almosen anging, sehr gewissenhaft und hielt sich an die alten Bräuche des Hauses ihres Mannes. Wenn auch ihre Gaben manchmal ein wenig kalt und unbeteiligt schienen, so kamen sie doch beständig und zuverlässig. Wann immer der Gemeindepriester ein besonderes Anliegen hatte, konnte er sich an sie wenden.
In pflichtbewußter Aufmerksamkeit begleitete er sie nach dem Gottesdienst zum Tor. »Gestern suchten mich zwei Benediktiner auf«, sagte er, während sie den Mantel im frischen Märzwind enger um sich raffte. »Es waren zwei Brüder aus Shrewsbury.«
»Wirklich?« erwiderte Adelais. »Was wollten sie bei Euch?«
»Einer von ihnen war verkrüppelt und ging mit Krücken. Er sagte, er habe einst in Euren Diensten gestanden, bevor er die Kutte anzog. Er erinnerte sich noch an Vater Wulfnoth, und ich dachte, sie hätten Euch ihre Aufwartung gemacht. Waren sie denn nicht bei Euch?«
Darauf antwortete sie nicht, sondern sagte gedehnt und mit einem Blick in die Ferne, als sei sie nur halb bei der Sache:
»Ja, richtig, ich hatte einmal einen Schreiber, der ins Kloster von Shrewsbury eintrat. Was hatte er denn bei Euch in der Kirche zu suchen?«
»Er meinte, der Tod habe ihn noch einmal verschont, und er wolle alle alten Sünden begleichen, um für ihn bereit zu sein.
Ich fand die beiden am Grab Eures Vaters. Sie waren der irrigen Annahme, dort müsse vor
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