Das Fremde Mädchen
sicher, ob wir wirklich willkommen gewesen wären. Sie wollte uns loswerden.
Nein, es ist gut so, wie es ist. Wahrscheinlich denkt sie, wir seien bereits auf dem Heimweg und hätten ihr Land und ihr Leben verlassen.«
Haluin blieb, die Hand auf den schweren Eisenring am Verschlag der Kirchentür gelegt, mit dem Gesicht im Schatten einen Augenblick stehen. Die Tür schwang knirschend auf, und er packte seine Krücken, um die beiden weiten, flachen Stufen ins Kirchenschiff hinunterzusteigen. Drinnen war es düster und steinkalt. Cadfael wartete einen Moment auf der Treppe, bis sich seine Augen an das veränderte Licht gewöhnt hatten, doch Haluin machte sich sofort auf zum Altar. In den achtzehn Jahren hatte sich nicht viel verändert, und er hatte nichts vergessen. Selbst die rauhen Kanten der Kacheln auf dem Boden waren ihm noch vertraut. Er wandte sich mit hohl tappenden Krücken zur rechten Seite. Als Cadfael ihm folgte, fand er ihn neben einer steinernen Gruft zwischen zwei Säulen.
Das eingravierte Bild auf der Deckplatte zeigte einen Ritter im Kettenpanzer, der ein Bein über das andere geschlagen und eine Hand auf den Schwertgriff gelegt hatte. Ein Kreuzfahrer, wahrscheinlich der Vater von Bertrand, der wie der Sohn im Heiligen Land gewesen war. Dieser hier, überlegte Cadfael, war vielleicht zu meiner Zeit bei der Armee von Robert von der Normandie, als sie Jerusalem einnahmen. Die de Clarys waren offensichtlich stolz auf ihre Kriegszüge im Osten.
Aus der Sakristei kam ein Mann herbei, der sich, als er die unverwechselbaren Benediktinerkutten sah, freundlich an die Ankömmlinge wandte. Er war in mittleren Jahren, in eine dunkelbraune oder schwarze Soutane gekleidet, und näherte sich mit fragendem Blick und einladendem Lächeln. Haluin hörte seine Schritte, so leicht sie auch waren, und drehte sich in Erwartung eines alten Bekannten erfreut um, nur um angesichts des Fremden sofort wieder zurückzufahren.
»Guten Tag, Brüder! Gott sei mit Euch!« sagte der Priester von Hales. »Reisenden mit Eurer Kutte steht mein Haus immer offen, ebenso wie dieses Gotteshaus. Kommt Ihr von weit her?«
»Aus Shrewsbury«, sagte Haluin, der sich mühsam wieder faßte. »Verzeiht mir, Vater, wenn ich so erschrak. Ich hatte erwartet, Vater Wulfnoth zu sehen. Natürlich war das dumm von mir, denn ich war viele Jahre nicht mehr hier, und er war schon grau, als ich ihn damals kannte. Mir als jungem Menschen schien es damals, als würde er ewig bleiben. Jetzt wage ich kaum zu fragen!«
»Vater Wulfnoth hat die ewige Ruhe gefunden«, erwiderte der Priester. »Es muß jetzt sieben Jahre her sein. Vor zehn Jahren kam ich, als er nach einem Schlaganfall bettlägerig wurde. Drei Jahre sorgte ich für ihn, bis er starb. Ich war damals gerade erst zum Priester geweiht worden, und ich lernte viel von Wulfnoth. Sein Geist war klar und offen, auch wenn das Fleisch ihn im Stich gelassen hatte.« Sein gutmütiges, rundes Gesicht zeigte offene Neugierde. »Dann kennt Ihr diese Kirche und das Landgut? Seid Ihr in Hales geboren?«
»Nein, aber ich diente einige Jahre bei der Herrin Adelais auf dem Anwesen. Kirche und Dorf kannte ich gut, bevor ich in Shrewsbury die Kutte anzog.«
Haluin, der bemerkte, wie genau er betrachtet wurde, hielt es für nötig, eine Erklärung für seine Rückkehr zu geben. »Nun«, meinte er, »ich habe allen Grund, dankbar zu sein, weil ich einem Unglück entging, das mich das Leben hätte kosten können, und bei dieser Gelegenheit beschloß ich, mein Gewissen von aller Schuld zu entlasten. Aus diesem Grund stehe ich hier an diesem Grab. In der Familie de Clary gab es eine Dame, die ich verehrte und die viel zu früh starb. Ich möchte eine Nacht an ihrem Grab beten. Es war lange vor Eurer Zeit, es ist jetzt achtzehn Jahre her. Ich werde Euch doch nicht stören, wenn ich die Nacht hier verbringe?«
»Nein, gewiß nicht, Ihr seid willkommen«, sagte der Priester herzlich. »Ich kann Euch eine Kohlenpfanne anzünden, damit Ihr es nicht so kalt habt. Aber Ihr müßt Euch irren, Bruder.
Gewiß, es war vor meiner Zeit, aber Vater Wulfnoth erzählte mir viel über die Kirche und das Landgut, denn er hatte sein Leben lang in den Diensten der Herren von Hales gestanden. Sie bezahlten sein Studium und setzten ihn hier als Priester ein. Es gab in dieser Gruft keine Bestattung, seit der alte Herr von Hales starb, dessen Abbild hier in den Stein gemeißelt ist. Das muß jetzt mehr als dreißig Jahre her sein. Heute
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