Das Fremde Mädchen
ganzen Haushalt beim Kapitel? Konntet Ihr es nicht ertragen, als unerkannter Sünder zu leben? Mußtet Ihr aller Welt den Namen meiner Tochter sagen, nachdem sie schon so lange im Grab liegt? Ich wäre lieber als Sünder ins Fegefeuer gegangen!«
»Das wäre ich auch!« rief Haluin verletzt. »Aber nein, so ist es nicht. Bruder Cadfael, der mich begleitet hat, ist außer Abt Radulfus, der meine Beichte hörte, der einzige, der es weiß.
Niemand sonst wird es erfahren. Bruder Cadfael habe ich durch meine Tat ebenfalls Unrecht getan, und er hatte das Recht, seine Vergebung zu spenden oder zu verwehren. Die Arznei, die ich Euch gab, stahl ich aus seinem Lager, nachdem ich von ihm gelernt hatte, sie anzuwenden.«
Sie warf Cadfael einen langen, beständigen Blick zu, und ihr Gesicht, das nun erst deutlich zu sehen war, schien aufmerksam und ruhig. »Nun«, sagte sie, wieder in die alte Gleichgültigkeit verfallend, »es ist schon sehr lange her. Wer würde sich heute noch daran erinnern? Und ich liege noch lange nicht im Sterben. Was weiß ich! Eines Tages werde ich selbst einen Priester brauchen, und so will ich Eure Bitte erfüllen. Wenn Ihr es auf diese Weise zu Ende bringen wollt...
dann sollt Ihr bekommen, was Ihr erbittet. Ich vergebe Euch. Ich will Euer Leiden nicht noch vergrößern. Kehrt in Frieden zu Eurem Kloster heim. Ich vergebe Euch, wie ich auf Vergebung hoffe.«
Ohne innere Beteiligung sprach sie, der kurz aufgeflammte Zorn war schon lange verschwunden. Es hatte sie keine Mühe gekostet, ihn freizusprechen, sie tat es anscheinend ebenso unbeteiligt und mit ebensowenig Gefühl, als hätte sie einem Bettler ein Stück Brot gegeben. Von einer adeligen Frau ihres Standes konnte man Almosen erbitten, und sie zu geben war ein Akt jener Großzügigkeit, die zu den Pflichten der Adligen gehörte. Doch was sie ohne Mühe gab, war für Haluin eine große, Erleichterung spendende Gnade. Die Spannung wich aus seinen gebeugten Schultern und den steifen Händen. Er neigte demütig vor ihr den Kopf und bedankte sich mit leiser, zögernder Stimme, als wäre er nicht ganz bei sich.
»Mylady, Eure Gnade nimmt eine schwere Last von mir. Ich bin Euch aus ganzem Herzen dankbar.«
»Kehrt zu dem Leben zurück, das Ihr gewählt habt, und zu den Pflichten, die Ihr auf Euch genommen habt«, sagte sie, während sie sich wieder setzte. Das Stickzeug blieb einstweilen noch liegen. »Denkt nicht mehr an das, was vor so langer Zeit geschehen ist. Ihr sagtet, Euer Leben wurde verschont. Nutzt es, so gut Ihr könnt, und ich will das gleiche tun.«
Damit waren sie entlassen, und Haluin akzeptierte es. Er verneigte sich tief, machte vorsichtig auf seinen Krücken kehrt, und Cadfael gab ihm eine Hand, um ihn zu stützen. Sie hatte ihnen keinen Platz angeboten, vielleicht, weil sie durch den überraschenden Besuch zu erschüttert war, doch als die beiden die Türe erreichten, rief sie ihnen hinterher: »Ihr könnt bleiben, wenn Ihr wollt, und Euch in meinem Haus ausruhen und stärken. Meine Diener werden Euch alles geben, was Ihr braucht.«
»Danke«, erwiderte Haluin, »aber wir müssen nun, da meine Pilgerschaft hier abgeschlossen ist, so rasch wie möglich zurückkehren.«
»Dann möge Gott Eure Schritte auf dem Heimweg beflügeln«, sagte Adelais de Clary, während sie mit ruhiger Hand zur Nadel griff.
Die Kirche war nicht weit vom Anwesen entfernt. Zwei Wege kreuzten sich dort, und einige kleine Häuser drängten sich eng an die Mauer des Kirchhofs.
»Die Gruft ist dort drinnen«, sagte Haluin, als sie durch das Tor traten. »Während ich hier war, wurde sie nicht geöffnet, aber Bertrands Vater ist hier begraben, und für Bertrade wurde sie sicherlich geöffnet. Sie starb hier. Es tut mir leid, Cadfael, daß ich auch für Euch die Gastfreundschaft ausschlug, ich hatte nicht rechtzeitig an Euch gedacht. Ich selbst werde ja heute nacht kein Bett brauchen.«
»Ihr habt kein Wort davon zur Herrin gesagt«, warf Cadfael ein.
»Nein. Ich weiß selbst nicht warum. Als ich sie wiedersah, kam mir in den Sinn, daß es nicht recht von mir war, die alten Schmerzen wieder wachzurufen. Schon mein Anblick muß sie geschmerzt haben. Dennoch hat sie mir vergeben. Mir geht es nun besser, und ihr geht es sicher nicht schlechter. Aber Ihr hättet heute nacht bequem schlafen können. Es ist nicht nötig, daß wir beide wachen.«
»Ich bin für eine Nacht auf den Knien besser gerüstet als Ihr«, wandte Cadfael ein. »Und ich bin nicht
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