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Das Fremde Mädchen

Das Fremde Mädchen

Titel: Das Fremde Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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die Treppe herunter, um sie zu begrüßen.
    Haluin wurde die Treppen zur Halle mehr hinaufgehoben, als daß er selbst lief, und unterdessen eilte der Herr des Hauses aus seiner Kammer herbei, um die unerwarteten Gäste zu begrüßen.
    Es war ein schöner Mann mit langen Gliedern und wenig Fleisch auf den Knochen. Sein kurzer, sauber getrimmter Bart hatte die Farbe von Weizenstroh, und auf dem Kopf trug er eine dicke Haarkappe von derselben Farbe. Ende der Dreißig mußte er sein, dachte Cadfael, während er das offene, rötliche Gesicht musterte, in dem die blauen Sachsenaugen hell, offen und etwas besorgt funkelten.
    »Kommt herein, Brüder! Daß Ihr uns gefunden habt! Hier, bringt ihn hierher, nahe ans Feuer.« Er hatte nicht nur die Benediktinerkutten sofort gesehen, in deren Falten sich Schneeflocken gesammelt hatten, sondern auch die verkrüppelten Füße und das vor Erschöpfung graue Gesicht des jüngeren Besuchers. Als der Schnee nun abgeschüttelt wurde, flogen die Flocken zischend ins gleichmäßig brennende Herdfeuer in der Mitte der Halle. »Edgytha, lasse in der hinteren Kammer Betten bereiten und sage Edwin, er soll noch etwas Wein erwärmen.«
    Seine Stimme war laut, tröstlich und warm. Ohne Eile schickte er seine Diener hierhin und dorthin, damit die Gäste bedient wurden, und sorgte selbst dafür, daß Haluin auf einer Bank an der Wand zu sitzen kam, wo die Wärme des Feuers ihn erreichen konnte.
    »Euer junger Bruder ist in traurigem Zustand«, sagte der Gastgeber etwas abseits zu Cadfael. »Und daß er so weit von daheim reisen muß. Hier gibt es keine anderen Eures Ordens, abgesehen von den Schwestern in Farewell, wo der Bischof unlängst ein Kloster gründete. Aus welchem Haus kommt Ihr?«
    »Aus Shrewsbury«, erklärte Cadfael, während er Haluins Krücken an die Bank lehnte, damit dieser sie erreichen konnte, wenn er sie brauchte. Haluin hatte sich mit geschlossenen Augen zurückgelehnt, und seine grauen Wangen bekamen in der behaglichen Wärme allmählich wieder Farbe.
    »Von so weit her? Konnte der Abt nicht einen gesunden Mann auf diesen Botengang schicken, wenn er schon in einer anderen Grafschaft etwas zu erledigen hatte?«
    »Haluin ging aus eigenem Antrieb«, sagte Cadfael. »Kein anderer außer ihm hätte es tun können. Nun ist es aber getan, und wir sind auf dem Heimweg, den wir in kleinen Etappen hinter uns bringen wollen. Immer dank der Hilfe gastfreundlicher Menschen wie Euch. Darf ich fragen, wo wir hier sind? Wir kennen uns hier nicht aus.«
    »Mein Name ist Cenred Vivers. Ich nahm den Namen nach dem Landgut an. Euer Bruder da heißt Haluin, sagt Ihr? Und wie ist Euer Name?«
    »Mein Name ist Cadfael. Als Waliser geboren und an der Grenze mit einem Fuß auf jeder Seite aufgewachsen. Ich bin jetzt seit mehr als zwanzig Jahren Bruder in Shrewsbury. Meine Aufgabe auf dieser Reise ist es einfach, Haluin Gesellschaft zu leisten und dafür zu sorgen, daß er sicher dorthin kam, wo er hinwollte, und ebenso sicher wieder zurück.«
    »Keine leichte Aufgabe«, erklärte Cenred mit leiser Stimme, während er traurig Haluins verformten Fuß betrachtete, »bei seinem Zustand. Aber wenn Euer Werk getan ist und Ihr nun auf dem Heimweg seid, dann werdet Ihr es gewiß schaffen. Wie hat er sich diese Verletzungen zugezogen?«
    »Er stürzte vom Dach. Wir mußten mitten im Winter vor Weihnachten das Dach flicken, und die Schieferplatten, die ihm hinterherfielen, schnitten seine Füße in Fetzen. Wir sind froh, daß er es überlebt hat.«
    Sie sprachen leise und ein wenig abseits über ihn, doch er lag zurückgelehnt und entspannt, als wäre er eingeschlafen.
    Die Augen hatte er geschlossen, die langen dunklen Wimpern warfen kleine Schatten auf seine eingefallenen Wangen. Die Halle hatte sich mittlerweile wieder geleert, die Aktivitäten hatten sich in andere Räume verlagert, denn die Diener waren mit Kissen und Decken und mit dem Essen für die Gäste in der Küche beschäftigt.
    »Sie lassen sich Zeit mit dem Wein«, bemerkte Cenred. »Ihr braucht beide etwas Warmes zu trinken. Wenn Ihr mich entschuldigen wollt, Bruder, will ich nachsehen und dafür sorgen, daß man sich in der Küche etwas beeilt.«
    Damit ging er hinaus, und im Luftzug, als er vorüberging, begannen Haluins geschlossene Lider zu beben. Einen Moment später schlug er die Augen auf und sah sich langsam und benommen um. Er betrachtete die warme, halbdunkle Halle mit der hohen Decke, das Glühen des Feuers, die schweren

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