Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Fremde Mädchen

Das Fremde Mädchen

Titel: Das Fremde Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
Vom Netzwerk:
Vorhänge, die zwei Alkoven vom allgemein zugänglichen Bereich abtrennten, und die halb geöffnete Tür der Kammer, aus der Cenred getreten war. Drinnen war der bleiche, gleichmäßige Schein einer Kerze zu sehen.
    »Habe ich geträumt?« wunderte Haluin sich mit großen Augen. »Wie sind wir hergekommen? Wo sind wir hier?«
    »Keine Sorge«, sagte Cadfael, »gekommen seid Ihr auf Euren beiden Füßen, nur ein hilfreicher Arm hat Euch die Treppen des Hauses hinaufgeholfen. Vivers heißt das Anwesen, und der Herr heißt Cenred. Wir sind in gute Hände geraten.«
    Haluin holte tief Luft. »Ich bin doch nicht so stark, wie ich glaube«, sagte er traurig.
    »Das spielt keine Rolle, Ihr könnt jetzt ruhen. Wir haben Elford verlassen.«
    Sie sprachen mit gedämpfter Stimme, ein wenig eingeschüchtert von der tiefen Stille, die trotz der Geschäftigkeit im Haus hier vorherrschte. Als beide zu sprechen aufhörten, schien die Stille fast erwartungsvoll. Bald darauf trat eine Frau in die Tür der halb geöffneten Kammer und öffnete sie ganz, bis das Kerzenlicht bleich und golden hindurchfiel. Einen Moment war sie als Schattenriß vor dem weichen Licht zu sehen, eine schlanke, aufrechte Gestalt, reif und würdevoll in ihren Bewegungen, sicher die Herrin des Hauses und Cenreds Frau.
    Mit zwei, drei leichten, raschen Schritten trat sie mitten in die Halle, und das Licht einer Kerze vertrieb die Schatten aus ihrem Gesicht, gab ihm Konturen und schälte aus dem Halbdunkel eine ganz andere Person heraus. Alles hatte sich verändert.
    Keine anmutige Schloßherrin von über dreißig Jahren war es, sondern ein rundliches Mädchen mit frischem Gesicht, höchstens siebzehn oder achtzehn Jahre alt, mit einer hohen Stirn, weiß und glatt wie Perlmutt, über zwei weit aufgerissenen Augen.
    Haluin gab ein seltsames, weiches Geräusch von sich, halb Keuchen und halb Seufzen, packte seine Krücken und hob sich auf die Füße, um die plötzlich hell erleuchtete Erscheinung anzustarren. Das Mädchen, das sich unerwartet Fremden gegenübersah, zog sich, den Blick unverwandt auf die Gäste gerichtet, ein wenig zurück. Einen Moment verharrte sie stumm und reglos, dann fuhr sie herum und verschwand in der Kammer, die Türe fast verstohlen hinter sich zuziehend.
    Jegliche Kraft wich aus Haluins Händen. Sie baumelten schlaff herab, die Krücken glitten aus und fielen aus seinen Achselhöhlen. Er ging langsam zu Boden, sackte in sich zusammen und blieb bewußtlos auf dem Binsenteppich liegen.
    Sie trugen ihn ins Bett, das man ihm in einer stillen Kammer, ein Stück von der Halle entfernt, bereitet hatte, und legten den immer noch tief Bewußtlosen zur Ruhe.
    »Es ist die Erschöpfung«, beruhigte Cadfael den besorgten Cenred. »Ich wußte, daß er sich zu hart antrieb, aber damit ist es nun vorbei. Von nun an können wir uns Zeit lassen. Er soll die Nacht über schlafen, und morgen wird es ihm besser gehen. Seht doch, er kommt zu sich. Er öffnet die Augen.«
    Haluin regte sich, die Augenlider zitterten, bevor sie sich hoben und die dunklen, wach blickenden Augen freigaben. Er sah den Kreis besorgter Gesichter an, war sich seiner Umgebung bewußt und wußte noch, was ihm geschehen war, bevor man ihn ins Bett getragen hatte. Die ersten Worte, die er sprach, waren eine schwache Entschuldigung, weil er ihnen solche Mühen gemacht habe, und ein Dank für die Sorge.
    »Meine Schuld!« sagte er. »Es war überheblich, mich zu übernehmen. Aber jetzt ist alles gut. Alles ist gut.«
    Da er jetzt vor allem zur Ruhe kommen mußte, ließ man sie allein, damit sie sich in ihrer kleinen Kammer bequem einrichten konnten. Der bärtige Verwalter brachte ihnen heißen, gewürzten Wein und schickte ihnen die alte Frau Edgytha herein, die ihnen Wasser für Hände und Füße und eine Lampe brachte und fragte, ob sie sonst noch etwas benötigten.
    Sie war eine große, drahtige und bewegliche Frau von etwa sechzig Jahren mit dem freien Gebaren und jener Aura von Autorität, die alle Diener umgab, die viele Jahre das Vertrauen ihres Herrn oder ihrer Herrin genießen durften und die sich dank dieses Vertrauens gewisse Privilegien erworben hatten.
    Die jüngeren Dienerinnen behandelten sie mit Hochachtung.
    Sie fürchteten sie nicht, doch Edgythas sauberes schwarzes Kleid mit der gestärkten weißen Haube und die Schlüssel, die an ihrer Hüfte baumelten, unterstrichen ihre Stellung.
    Spät am Abend kam sie noch einmal in Begleitung einer rundlichen, freundlichen Dame, die

Weitere Kostenlose Bücher