Das Fremde Mädchen
höflich und mit leiser Stimme sprach und sich erkundigte, ob die verehrten Brüder alles hätten, was sie für die Nacht brauchten, und ob sich der Bruder, der bewußtlos geworden war, inzwischen von seiner Schwäche erholt habe. Cenreds Frau war eine hübsche, rosige Frau mit braunen Haaren und Augen, ganz anders als das große, schlanke und zierliche Mädchen, das aus der Kemenate getreten und angesichts der unerwarteten Fremden geflohen war.
»Haben der Herr Cenred und seine Frau eigentlich Kinder?«
fragte Cadfael, als ihre Gastgeberin wieder gegangen war.
Edgytha war wortkarg und wachte eifersüchtig über ihre Familie und alles, was ihr gehörte; sie hielt im Grunde sogar eine solche Frage schon für verdächtig. Doch nach kurzem Zögern antwortete sie höflich: »Sie haben einen erwachsenen Sohn.« Dann, ganz gegen ihre Art, befriedigte sie die unerwünschte Neugierde des Gastes und fuhr fort: »Er ist nicht hier, er dient beim Oberherrn meines Herrn Cenred.«
Sie sprach mit einem eigenartigen, reservierten Unterton, es klang sogar fast nach Mißbilligung, auch wenn sie es niemals zugegeben hätte. Cadfael wäre beinahe von seinem wichtigsten Anliegen abgelenkt worden, doch nun fragte er vorsichtig weiter:
»Keine Tochter? Ein junges Mädchen sah einen Augenblick in die Halle herein, als wir warteten. Demnach ist sie keine Tochter des Hauses?«
Sie warf ihm einen langen, gleichmütigen und forschenden Blick zu, hob die Augenbrauen und preßte die Lippen zusammen, da sie ein solches Interesse an einem jungen Mädchen, zumal von einem Mönch, nur mißbilligen konnte.
Doch die Gäste des Hauses mußten mit makelloser Höflichkeit behandelt werden, auch wenn sie sie nicht verdienten.
»Das war die Schwester des Herrn Cenred«, erklärte sie.
»Der alte Herr Edric, sein Vater, heiratete in hohem Alter noch einmal. Sie ist Cenred eher eine Tochter als eine Schwester, wegen des großen Altersunterschieds. Ich glaube nicht, daß Ihr sie noch einmal sehen werdet. Sie wünscht sicherlich nicht, die Ruhe von Männern mit Eurer Kutte zu stören. Sie wurde gut erzogen«, schloß Edgytha mit sichtlichem Stolz auf die Erfolge ihrer eigenen Erziehung. Zugleich war es eine unverhohlene Warnung, daß die schwarzgewandeten Mönchen, die der Zufall ins Haus geweht hatte, in Gegenwart der Jungfrau die Augen zu senken hatten.
»Wenn Ihr sie erzogen habt«, erwiderte Cadfael liebenswürdig, »dann macht Sie Euch zweifellos alle Ehre. Wart Ihr auch für Cenreds Jungen verantwortlich?«
»Meine Herrin hätte nicht im Traum daran gedacht, ihr Kind einer anderen anzuvertrauen.« Die alte Frau taute auf und wurde lebhafter, als sie an die Kinder dachte, die sie großgezogen hatte. »Niemand hätte besser für die Kinder sorgen können«, sagte sie, »und ich liebe sie wie meine eigenen.«
Als sie fort war, blieb Haluin eine Weile schweigend liegen, doch seine Augen waren offen und klar, sein Gesicht schien wachsam und gespannt.
»Ist da wirklich ein Mädchen hereingekommen?« sagte er schließlich und runzelte die Stirn, während er versuchte, die Situation zu erinnern, die bisher nur verschwommen und unscharf vor seinem inneren Auge stand. »Seit ich hier liege, versuche ich mich zu erinnern, warum ich so auffuhr. Ich weiß noch, wie die Krücken unter mir wegrutschten, aber viel mehr leider nicht. Als ich in die Wärme kam, wurde mir schwindlig.«
»Ja«, sagte Cadfael, »es kam ein Mädchen herein.
Anscheinend Cenreds Halbschwester, aber etwa zwanzig Jahre jünger. Wenn Ihr glaubt, Ihr hättet sie geträumt – nein, es war kein Traum. Sie kam aus der Kemenate in die Halle, sie hatte nicht mit uns gerechnet, vielleicht machten wir ihr auch keinen angenehmen Eindruck, denn sie zog sich hastig wieder zurück und schloß die Tür. Könnt Ihr Euch erinnern?«
Nein, er konnte sich nicht erinnern, nur an einige Fetzen, die heraufkamen wie nach einem Traum und sofort wieder verschwanden. Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, als wollte er damit die Müdigkeit aus den Augen vertreiben.
»Nein... ich habe keine klare Erinnerung. Ich weiß noch, wie die Türe geöffnet wurde, und ich nehme Euch beim Wort, daß sie hereinkam... aber ich kann mich an nichts erinnern, kein Gesicht... vielleicht morgen.«
»Wir werden sie nicht mehr sehen«, erwiderte Cadfael, »wenn ihr ergebener Drache in dieser Hinsicht etwas zu sagen hat. Ich glaube, Edgytha hat keine sehr hohe Meinung von Mönchen. Nun, seid Ihr für den Schlaf
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