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Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Titel: Das Fremde Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hartwell
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ein Traum gewesen, hat sie wie ein Irrlicht vom Weg abbringen wollen.
    Der wahre Grund ihres Schweigens aber ist ein anderer: Im Geheimen und ohne dass sie es selbst recht versteht, fürchtet Klara, allein durch Worte das Geschöpf auf ihre Fährte zu locken. Nur indem sie sogar sich selbst gegenüber vorgibt, es bereits vergessen zu haben, glaubt sie, es bannen zu können.
    Auch als sie wieder in Truven angelangt ist, verliert sie kein Wort über ihre Reise zum Rand der Welt, und weil die Truvener der Welt nicht trauen und möglichst wenig mit ihr zu tun haben wollen, fragt sie niemand nach ihren Abenteuern. Doch dass sie nicht mehr dieselbe ist, dass sie nicht mehr von der Welt und ihren Wundern spricht, entgeht auch den Truvenern nicht. Es müsse an dem Kind liegen, flüstert man im Dorf.
    Nun gäbe es zumindest eine, Klaras Cousine Esther, die sich nur vorbeugen und der Cousine in die Augen schauen müsste, um zu sehen, wie sich eine dunkle Erscheinung durch das Blau ihrer Iriden schleppt. Esther aber trauert um den Seefahrer und sieht nicht in Klaras Augen, sondern an die Decke, während Klara neben ihr im Bett liegt, ihr die alten Erzählungen vorliest und sich fürchtet.
    Als Klara ihre Tochter einige Wochen später zur Welt bringt, da nennt sie das Kind Muriel, nach dem Meer, an das sie zurückgekehrt ist. Und um des Kindes willen zwingt sie sich, den Rand der Welt zu vergessen. Sie vergisst auch die Gestalt, ihren schleppenden Gang, ihr klaffendes Maul, ihren geschuppten Kopf. Nur manchmal, da vergisst sie zu vergessen, dann meint sie, ein Paar feucht glänzender Augen in der hintersten Zimmerecke aufblitzen zu sehen oder ein schleifendes Geräusch vom Flur her zu hören. Sie presst eine Hand vor den Mund und das Kind schützend an sich. Sie steht sehr still.
    *
    Nachdem Esther sich aus ihrem Trauerkokon befreit und ihrer Cousine von ihrem Plan, nach Thul zu ziehen, erzählt hat, verbringen die Frauen die Abende in Esthers Haus, wo sie Kleider und Bücher zusammenpacken. Je weiter der Abend voranschreitet, umso mehr fürchtet Klara den späten Heimweg. Die Tochter in einem Tuch vor die Brust gebunden, eilt sie durch die schlecht beleuchteten Gässchen, als sich das Geschöpf eines Nachts wie beiläufig aus den Schatten löst. Es hockt unter einer erloschenen Straßenlaterne, im Abfall und Straßendreck. Klara erstarrt mitten im Schritt. Sie rührt sich nicht, als es den Kopf hebt; sie rührt sich nicht, als es wie zur Begrüßung einen klackenden Laut von sich gibt, rührt sich auch nicht, als es langsam auf die Beine kommt und sich zu seiner gebückten Haltung aufrichtet. Erst als sein Geruch sie erreicht, der faulige Gestank der Sümpfe, fährt sie herum und rennt den Weg zurück zu Esthers Haus.
    Nachdem Esther Klara hereingelassen, auf ihr Flehen hin den Garderobenschrank vor die Haustür geschoben und Klara an den großen Esstisch gesetzt hat, beginnt Klara zu erzählen. Sie erzählt von der letzten Stadt, dem letzten Fluss, der Einöde, den Krähen und dem Geschöpf aus den Sümpfen. So vertieft ist sie in ihren Bericht, dass sie nicht bemerkt, wie Esther von ihr abrückt, wie sich in ihrem Gesicht drei Falten bilden, eine zwischen den Augenbrauen und zwei um den Mund.
    »Du hast es hierhergebracht?«, fragt Esther schließlich, und Klara blickt auf.
    »Nein. Nicht mitgebracht. Mitgekommen ist es, es ist mir gefolgt. Ich habe –« Und sie verstummt, denn es gibt keinen Irrtum, kein Missverständnis, das sie aufklären könnte. Wie soll sie Esther verständlich machen, was sie selbst kaum versteht. Sie muss geglaubt haben, das Geschöpf gehöre in die Ferne, gehöre ihr an, dass die Fremde ebenso sehr Teil von ihm sei, wie es selbst Teil der Fremde. Sie muss geglaubt haben, dass es ihm unmöglich sein würde, ihr bis nach Truven zu folgen. Truven schließlich ist ihr nicht nur ein Ort, sondern auch eine Zeit, die Summe aller Tage, während der sie noch nichts wusste, vom Rand der Welt und den Geschöpfen, die er hervorbringen kann.
    Klara hält den Kopf gesenkt, wagt nicht, ihn zu heben, wartet auf ein Wort, ein Zeichen Esthers.
    »Klara«, sagt Esther schließlich, und Klara sieht auf. »Es muss ein Traum gewesen sein. Du bist zu lange allein dort draußen gewandert, hast nicht geschlafen, mit niemandem gesprochen. Heute Nacht bleibst du hier bei mir. Und morgen früh, wenn ein neuer Tag anbricht, dann werden wir über die Schrecken der Nacht lachen. Du wirst sehen.«
    Und obwohl Klara nur zu gut

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