Das Fremde Meer: Roman (German Edition)
ihres Parfums fragen, wahrheitsgemäß antworten würde, dass sie nur Seife benutzt. Ich erwidere ihre Umarmung, einen Moment ziehe ich sie fest an mich; vielleicht hoffe ich, dass etwas abfärbt, etwas hängen bleibt, dass ich womöglich auch so gut riechen werde und mein Haar vergleichbar glänzen.
Auf dem Nachhauseweg denke ich über die Möglichkeit des Unmöglichen nach. Ich wünschte, vor mir hätte es niemanden gegeben, nicht einmal die Möglichkeit von jemandem, so wie ich hoffe, dass es neben und nach mir nicht die Möglichkeit von jemandem gibt. Ich wünschte, du hättest die Jahre vor mir in einem Vakuum, einem menschenleeren Raum gelebt, aus dem du dann eines Nachmittags auf mich hinabfielst. Ich möchte dir eine neue Vergangenheit bauen, dich auf eine einsame Insel setzen, wo du geborgen und sicher verwahrt auf mich wartest, auf den Klippen stehend Ausschau hältst, nach dem Schiff, das mich zu dir bringt.
Die Geschichte der Großeltern
Nachdem wir auf der Party gewesen sind, fühle ich mich deinen Freunden eine Weile überlegen, weil ich herausgefunden habe, wie wenig sie über dich wissen. Dann fange ich an, darüber nachzudenken, was ich über dich weiß. Ich fordere dich mit Sätzen heraus, die sich nicht als Fragen zu erkennen geben wollen und erwartungsvoll ins Leere laufen.
»Cousins haben wir ja beide keine …«, sage ich.
Und: »Ich hatte kein besonders gutes Verhältnis zu meinem Vater. Da geht es mir wohl so wie dir …«
Aber du fängst keinen meiner halben Sätze auf, und es kommt, wie es immer kommt. Ich werde ungeduldig. Und dann irgendwann: wütend.
Ich will nicht mit jemandem zusammen sein, den ich nicht kenne, sage ich einmal und halte vor Schreck den Atem an, denn ich möchte ja mit niemand anderem als dir zusammen sein.
In dieser ersten Zeit bin ich überzeugt davon, dass wir beide früher oder später auseinanderbrechen werden, dass es ohne mein Zutun geschehen wird, es bereits geheime Risse und Lecks im Fundament gibt. Und so wie Kinder ihre wackelnden Milchzähne nicht in Ruhe lassen können, kann auch ich nicht von uns lassen. Immer wieder rüttle ich an uns, prüfe, wie fest wir noch sitzen, ob wir überhaupt noch Halt haben. Ich warte auf erste Anzeichen, die sich nicht länger ignorieren lassen, Vorwürfe und Unvereinbarkeiten und wie wir unversöhnlich miteinander werden.
So also fängt es an:
Du sprichst zu wenig und ich zu viel.
Du weißt alles über mich und ich nichts über dich.
Meine Anklagen bringe ich in einem hastigen Monolog vor.
Du nickst. Du entschuldigst dich. Es falle dir eben schwer, über dich zu sprechen. Du habest dir das irgendwann abgewöhnt. Und es sei dir gut damit gegangen. Wenn es mir wichtig sei, wollest du dir eben mehr Mühe geben.
»Ich werde mich bessern«, sagst du und lächelst, und ich lächele mit dir, verschränke unterm Tisch aber meine Hände ineinander und bohre die Fingernägel in die Innenflächen, während ich mich frage, wie ich zu dem Menschen geworden bin, der von dir erwartet, du müsstest dich bessern.
In den Tagen nach der Party treibt sich Arianes Geist in unserer Wohnung herum. Ich glaube, dass auch du sie spüren kannst, wie sie auf der Couch zwischen uns sitzt, wie sie auf unserer Fensterbank lehnt und uns zuhört.
»Ihr kennt euch ja schon ziemlich lange …«, sage ich.
Zögernd nickst du. Und als du anfängst von Ariane zu erzählen, ist es ein wenig, wie wenn wir uns einen Horrorfilm zusammen anschauen: Ich will alles wissen, jedes schreckliche Detail, vor allem die schrecklichen Details; ich will überhaupt nichts wissen, mir die Augen und die Ohren zuhalten und weiter vorgeben, in einer Welt zu leben, in der es keine Untoten und Serienmörder und Arianes gibt.
»Sie war sehr wichtig für mich«, sagst du, und ich nicke betont beiläufig, als gingen mich deine Worte eigentlich nichts an.
»Als wir aufs Festland gezogen sind, kannte ich niemanden. Ariane wohnte im Nachbarhaus.«
Du erzählst weiter, von deiner Familie, deinen Großeltern, sprichst stockend, wie jemand, der sich etwas ausdenkt. Wahrscheinlich denkst du dir auch etwas aus, damit ich Ruhe gebe, fürchte ich, aber dann merke ich, dass du lächelst wie ein Lügner, so wie immer, wenn du die Wahrheit sagst. Nach jedem Satz machst du eine kleine Pause, als müsste ich das Gesagte abnicken, bevor du fortfahren kannst.
Ich weiß, dass du bis zu deinem fünfzehnten Lebensjahr auf einer Insel gelebt hast. Dein Vater ist dort aufgewachsen, und
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