Das Fünfte Geheimnis
ganzen Tag weinen. Ich möchte wieder heim. Ein langes, heißes Bad nehmen, im Garten reife Tomaten pflücken und in meinem eigenen Bett mit sauberen Laken schlafen. Aber ich weiß, daß ich nicht heimgehen kann. Ich kann einfach nicht heimgehen, bevor ich hier nicht irgend etwas erreicht habe. Zwischendurch wünsche ich mir, ich könnte ebenfalls töten und Spaß daran haben. Es scheint so eine einfache Lösung zu sein.«
»Ich weiß.«
»Vielleicht hat Hijohn recht. Vielleicht ist es besser, alles niederzubrennen, selbst wenn wir mitverbrennen.«
»Das ist eine Versuchung«, gab Katy zu, »aber habt ihr im Norden die Revolution auf diese Art gewonnen?«
»Nein. Wir gingen den langen, beschwerlichen Weg. Es hat viele Jahre gedauert, etwas zu erreichen. Manche unserer alten Leute haben wirklich ihr ganzes Leben damit zugebracht, einen Versuch nach dem anderen zu starten, unser Leben leichter und einfacher zu gestalten. Die Restauration scheint ganz plötzlich geschehen zu sein, aber in Wirklichkeit hat es ein halbes Jahrhundert Vorbereitung gekostet.«
»Ja, so ist das«, sagte Katy.
Sie saßen noch einen Augenblick schweigend zusammen. Eine bemerkenswerte Frau, dachte Madrone.
»Ich bin froh, dich kennengelernt zu haben, Katy«, sagte sie, »ich brauche hier so bitter nötig eine Freundin. Jemanden, mit dem ich reden kann.«
»Ich auch«, sagte Katy leise. Poppy regte sich in ihren Armen und erwachte. »Möchtest du etwas essen oder trinken?« fragte Katy.
»Oh, ich könnte jetzt für eine Tortilla sterben, Katy«, schwärmte Madrone, »wenn du weißt, was das ist? Diosa, mir läuft das Wasser im Mund zusammen!«
»Tortija«, bei Katy klang der Name komisch. »ich kenne das, meine Mutter konnte Spanisch, aber ich habe nicht viel aufgeschnappt. Den Rest habe ich aus meinem Kopf verbannt, seit die Millennialisten die Stewards zu den Sprach-Gesetzen gedrängt haben. Spanisch ist seitdem verboten. Ich kriege das Wort auch nicht richtig heraus.«
»Naja«, sagte Madrone, »wenn du eine Revolution anzetteln willst, mußt du erst mal lernen, deine R's richtig rollen zu lassen.«
Sie buken so etwas ähnliches wie Tortillas und teilten sich die übriggebliebenen Bohnen. Katy ging, um Poppy schlafen zu legen. Doch Madrone war nun hellwach. Sie blieb draußen sitzen und blickte zum Himmel empor. Sterne blinkten. Madrone wünschte, jemand würde sie in die Arme nehmen und wiegen. Würde ihr sagen , daß alles in Ordnung sei. Aber da war niemand. Mutter! Johanna? Warum erschreckt ihr immer nur Maya, aber zu mir kommt niemand?
Doch plötzlich war da ein warmer Hauch um sie herum, sie fühlte sich getröstet und gleichzeitig herausgefordert. Johanna, flüsterte sie, wir gewinnen hier nichts. Wenn wir uns hier nicht behaupten können, wie wollen wir uns dann daheim behaupten? Stille.
Johanna, ich gehe hier zugrunde, ich sterbe. Niemals mehr werde ich zwischen der Minze im Garten des Black Dragon House in der Sonne liegen. Oder beim Liebesfest im Ritual-Raum dabei sein. Niemals mehr Maya den Morgentee bringen. Oder einfach nur mit euch in der Sonne sitzen und plaudern. Niemals werde ich ein Baby haben. Und was vielleicht noch schlimmer ist, ich werde wohl nie sehen, wie diese zubetonierte City sich wieder in das verwandelt, was sie einst war, eine Stadt voller schöner Häuser, mit blühenden Gärten und glücklichen Menschen. Nie werde ich die Flüsse hier wieder frei strömen sehen, rauschen hören.
Johanna, hörst du mich? Hast du dich jemals ähnlich hoffnungslos gefühlt. Fühlst du mit mir?
Stille. Die Dunkelheit schien noch dunkler zu werden als der Mond unterging. Dunkelheit und Schweigen. Was würde der Tod zu jenen sagen, die in beiden Händen die Gefahren des Lebens hielten? Festhalten! Aushalten!
Kapitel 22
Maya hatte Bird sein Lieblingsessen gekocht, Nachos mit scharfer Sauce und gebackenen Bohnen. Er starrte das Essen solange regungslos an, daß sie allmählich Angst bekam.
»Das ist zum Essen da«, sagte sie schließlich.
»Ich weiß, ich weiß«, antwortete er, »ich bin nur schon wieder so im Streß, dieses endlose Warten. Ich wünschte mir, sie würden endlich kommen, damit alles vorbei ist.« Sorgfältig schob er sich mit der Gabel eine Portion von den mit Käse überbackenen Bohnen in den Mund.
Da hörten sie, wie unten die Tür geöffnet wurde, eilige Schritte hasteten die Treppe herauf, und Rosa platzte ins Zimmer. »Sie sind da«, schrie sie, »sie kommen auf dem alten Freeway über den
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