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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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Wolldecke bedeckt war. Seine rechte Hand war an etwas gekettet - er konnte sie nur wenig bewegen - und sein linkes Bein war schwer, eingeschlossen in etwas, das es hinabzog. Sein ganzer Körper schmerzte mehr als er sich vorstellen konnte. Er sehnte sich nach Madrone, wünschte, sie wäre hier, beugte sich über ihn, ihr Gesicht ernst aber zuversichtlich. Ihre heilenden Hände, die Wärme in seine Wunden fließen ließen. Aber sie war weit weg. Und er war allein. Er hatte sich noch nie so allein gefühlt.
    Er mußte pinkeln und tastete mit seiner freien Hand nach einer Bettpfanne, aber er fand keine. Wenn er das Bett naßmachte, würde ihm nur noch kälter werden. Mit großer Anstrengung und einigen Schmerzen gelang es ihm schließlich, sich zur Seite zu drehen und über die Bettkante zu pinkeln. Erleichtert sank er zurück und fühlte sich jetzt durstig und ausgehöhlt. Er konnte sich nicht entsinnen, wie lange es her war, daß er zuletzt etwas gegessen oder getrunken hatte. Aber er war im Begriff zu heilen, denn sein Geist war zumindest so klar, daß er sich Sorgen machen konnte. Was, zum Teufel, würde nun mit ihm geschehen?
    Nach einer langen, langen Zeit öffnete sich die Tür. Er roch Suppe. »Du Stinker!« fauchte eine Stimme. Hände setzten ein Tablett neben seiner freien Hand ab. Er hörte ein metallisches Geräusch als werde etwas an die Bettseite herangezogen. »Nimm den verdammten Eimer«, sagte die Stimme und die Tür fiel ins Schloß.
    Wenn er aß, würde er auch seine Notdurft verrichten müssen, aber darüber wollte er jetzt nicht nachdenken. Es gab eine Art dünne Suppe und Brot und eine heiße bittere Flüssigkeit zu trinken. Der Umstand, daß es ihm gut tat, war Beweis genug, wie hungrig er war. Dann schlief Bird ein.
    In seiner Erinnerung verbrachte er sehr lange Zeit in diesem Käfig. Allein im Dunkeln hatte er begonnen zu fliegen. Es war schon immer eine seiner besonderen Fähigkeiten gewesen, in Gedanken zu reisen, und nun hatte er unendlich viel Zeit für Entdeckungen ohne Ablenkung von außen. Er wanderte zu seinem Ort der Kraft in den Bergen; es war Winter dort und in seinem Geist wurden die Kristallstrukturen des Schnees zu einem Labyrinth aus Regenbogenkammern durch die er Stunden und Tage wandern konnte. Jedes Kristall war eine Welt für sich. Er konnte sich bewegen, durch sie hindurch in dunkle Räume hinein, die gleichzeitig wie große leere Räume zwischen Sternen waren.
    Seine Peiniger hatten die Zeit zu einem Instrument der Strafe gemacht, aber er befreite sich davon auf seinen Sternenstraßen und sie konnten ihn nicht erreichen. Er war in der Unterwelt wie ein Samenkorn, das im Dunklen keimt. Die Bruchstücke alter Mythen, an die er sich nur halb erinnerte, wurden zu wirklichen Orten, wo er gemeinsam mit Inana eintauchte in die Welt der Königin der Toten. Auch die Vergangenheit war ein Ort, an dem er mit den Kriegern der Königin Nzinga ritt, um ihre belagerte Stadt zu verteidigen, wo er Städte angriff, wo er in einem Verlies wie diesem hier lag und man ihn herauszerrte, um ihn zu verbrennen, wo er hinter der Maske der Inquisition die Frage stellte und die Folter anordnete, wo er, wenn er nur lange genug in diesem Loch lag, jede Folterqual erleben konnte, die jemals einem menschlichen Wesen zugestoßen war.
    Und es gab auf diesen Traumreisen wunderschöne Orte, Obstgärten, deren frucht tragendende Bäume in ihrem eigenen Licht erstrahlten, neblige Inseln, auf denen er dem entzückenden Rücken einer Frau folgte, die immer gerade in seiner Reichweite schien. Er bewegte sich in einer Welt aus Farben, die so rein waren, daß selbst das Sonnenlicht nicht an sie heranreichte; er hörte Musik, Akkorde, so perfekt abgestimmt, daß er sich in ihrer Perfektion auflösen konnte und alle Furcht verlor. Er wußte, wenn er nur die Melodie behalten und erinnern konnte, würde sie seine zerschmetterten Knochen heilen. Und als er weit genug gegangen war, als er sich in der Welt seinerTräume zu verlieren drohte, da kam sie. Die tödliche Königin, die Große Schnitterin, die, deren Atem du im Haar fühlst, wenn das Tor des Lebens geschlossen wird und es kein Zurück mehr gibt, die schreckliche Schönheit, die Hexe, die ihre weißen Arme ausbreitet und deine Umarmung fordert. In den Märchen waren es immer die älteren Brüder, die ihr widerstanden. Aber er war der jüngere Bruder, derjenige, der seinen Mantel für sie ausbreitete und sich bei ihr niederlegte und ihr erlaubte, ihn in sich

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