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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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dieser Mann getan hat, Lily.“
    „Ist es das? Hat er nicht ausgeführt, was sein ganzes Leben ausmachte? Woran er glaubte und wofür er trainiert wurde. Stell dir nur die inneren Kämpfe vor, die er gehabt haben muß, um im Töten innezuhalten. Er mußte sich doch selbst Gewalt antun um aufzuhören. Er muß Gefühle gehabt haben, die er vorher sicher nie gekannt hatte. Kannst du wirklich kein Mitgefühl für ihn aufbringen?“
    „Nun, vielleicht.“
    Lily lächelte. Die Anspannung wich. Ihre Gesichtszüge fanden wieder zu ihrer Sanftheit zurück. Madrone war irritiert. „Wir werden nur siegen, wenn unsere Heiler stärker sind als ihre Krieger.“
    „Aber niemand kann einen anderen heilen, Lily. Du weißt das ganz genau. Wir heilen immer nur uns selbst.“
    „Trotzdem bist du als Heilerin tätig. Du veränderst Energien. Du schaffst die Voraussetzungen, damit ein Kranker überhaupt gesund werden kann.“
    „Aber ich kann seine Vergangenheit und seine Herkunft nicht verändern. Du sprichst im Grunde genommen nicht von einer Heilung, sondern davon, daß ich seine Persönlichkeit verändern soll.“
    „Wer sagt, daß du seine Vergangenheit nicht heilen kannst? Zeit ist doch nur eine Illusion. Alles, was einmal war, existiert auch jetzt.“
    „Dieser Gedanke gefällt mir nicht. Ich bin ganz froh, daß manche Dinge vorüber und vorbei sind.“
    „Aber wie kann etwas vorbei sein? Der Sklavenhandel, das Niedermetzeln ganzer Volksstämme, die Hexenverbrennungen – das alles lebt in dir weiter. Irgendwann in meinen Leben bin ich als Kind während einer Hungersnot gestorben, und irgendwann als kleines chinesisches Mädchen in einem Käfig an Passanten verkauft worden. Das alles ist ein Teil dessen, wie wir heute sind.“
    „Aber dann werden die Dinge doch niemals besser!“
    „Ganz im Gegenteil: Wenn du in diesem Moment etwas heilen kannst, heilst du gleichzeitig allen Schmerz, der jemals war.“
    „Das ist mir zu hoch, Lily.“
    „Versuch' es so zu sehen. Wenn du dich selbst heilen kannst, kannst du sozusagen auch deine Vorfahren heilen. Denn die waren selbstverständlich auch Mörder, Folterer, Vergewaltiger. Wer von uns ist ganz ohne Schuld? Wenn du diesen jungen Mann retten kannst, indem dein Mitgefühl ihm vielleicht einen neuen Weg für seine Seele, sein Herz und sein ganzes Dasein weist, dann heilst du doch auch seine Vergangenheit.“
    „Lily, ich habe zwei der Johnson-Kinder nach ihrer Geburt in den Armen gewiegt. Wie kann ich nun ihren Mörder heilen?“
    „Versuche es einfach.“

    ✳✳✳

    Madrone hockte sich neben die zusammengesunkene Gestalt in der Zimmerecke. Ich weiß wirklich nicht, was ich hier tun soll, murmelte sie. Ich bin wirklich keine Seelen-Heilerin. Ich möchte auch gar nicht sein Ch'i überprüfen oder seine Energien schmecken. Alles, was ich tun kann, ist bei ihm sitzen und mich erden. Sie setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden und atmete tief ein. Geduld, Geduld. Göttin, wenn du versuchst, Kreaturen mit Geduld zu erschaffen, fang am besten mit Hunden an. Hunde sind meistens freundlich, erst wenn man sie ärgert, werden sie bösartig, aber niemals begehen sie methodische Grausamkeiten.
    „Du hast versprochen, mein Werkzeug zu sein“, wisperte eine Stimme.
    „Wie soll ich zum Werkzeug des Mitgefühls werden, wenn ich vor Wut halb verrückt bin?“
    „Sitzen, sitzen, bis sich die Energien verändern.“
    Madrone saß unbeweglich. Eine Stunde verging, und noch eine. Lily brachte ihr lautlos Tee. Einmal stand Madrone auf und ging in Lilys Bad zur Toilette. Doch dann setzte sie sich wieder hin.
    Mitgefühl. Geduld. Nein, sie konnte eigentlich nichts davon in sich finden, nur Kummer und Wut. Was hätte ihre Mutter wohl mit den Jahren angefangen, die ihr genommen waren? Sie hätte für mich da sein können, sie hätte mir die Kaurimuschelkette um den Hals hängen können, als ich zum ersten Mal meine Monatsblutung hatte. Sie hätte meine Zukunftspläne mit mir besprechen können, meine ersten Liebesgeschichten miterlebt, sie hätte mich trösten können, als Bird fortging. Sie hätte ihr eigenes Leben leben können, ein Leben voll Liebe und wohl auch voller Sorgen. Alles vergeudet. Madrone sah die trüben Augen des Soldaten und dachte an Blut. Coatlicue du gabst mir dein Messer, und, soweit ich weiß, bist du keine sanfte Göttin. Verlangst du nicht Opfer? Herzen frisch aus der Brust geschnitten? Oder ist das nur eine Sage, von alten Priestern erzählt? Aber das könnte

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