Das Fünfte Geheimnis
die South Coastal Hills. Von dort aus finde ich den Weg zurück nach Angel City.«
»Das ist ein weiter Weg«, staunte Bird, »und das ganz allein?«
»Nicht allein. Es gibt Freunde in diesen Bergen. Die helfen. Bei dir ist es etwas anderes. Nördlich von hier wirst du ins Dünengebiet kommen. Da ist wenig Deckung. Danach kommen wieder Berge. Noch weiter nördlich stößt du dann auf Slotown. Dort verläuft auch die alte Küstenstraße den Strand entlang. Die Steward-Armee kontrolliert diesen Abschnitt. Das Umgehen der Straße in Richtung Osten ist gefährlich, da gibt es Minenfelder. Aber wenn du es schaffst, bis zu den Irish Hills westlich von Slotown durchzukommen, dort haben wir Freunde, die dir weiterhelfen werden.«
»Danke«, sagte Bird, und wandte sich an Littlejohn, »und du?« Littlejohn zuckte zusammen: »Niemand erwartet mich in den Southlands. Ich schätze, ich begleite dich ein Stückchen.«
»Gut«, nickte Hijohn, »dann heißt das jetzt Good bye! Es ist ein bißchen wenig, nur danke zu sagen. Aber es kommt von Herzen: Ich danke dir, Bird!«
»De nada«, sagte Bird auf spanisch. Er legte Hijohn die Hände auf die Schultern und gab ihm eine letzte Woge von Energie ab. Er fühlte, wie auch seine Muskeln sich entspannten, während er die Energie aus der Erde heraufzog.
»Que te vaya bien, que vayas con Diosa. Que nunca tengas hambre. Que nunca tengas sed.«
»Was heißt das?« fragte Littlejohn.
»Laß es dir gut gehen, möge die Göttin dich begleiten, mögest du niemals hungern und niemals durstig sein«, verabschiedete sich Hijohn.
»Niemals durstig«, sagte Bird nachdenklich.
»Merry meet, and merry part«, lachte Bird. »So sagen die Hexen aus dem Norden.«
»Ja, das sagen meine Leute auch«, sagte Littlejohn. »And merry meet again.«
»Gebt auf euch acht.«
Bird füllte Hijohn die Taschen mit den restlichen Äpfeln und Eicheln. Dann sahen sie zu, wie Hijohn durch den Bach watete und hinter einer Biegung verschwand.
»Okay«, nickte Bird nun Littlejohn zu, »gehen wir!«
Kapitel 5
Über dem kleinen Waschbecken im Zimmer neben der Krankenstation hing ein handgemaltes Schild: Tragt Masken, schützt Euch vor der Epidemie! Darunter hatte jemand gekritzelt: »Damit bist Du gemeint, Madrone!« Es war Sam's Handschrift.
Madrone fühlte sich stark versucht, etwas Bissiges darunter zu schreiben, aber sie hielt sich zurück. Es war hoffnungslos, Sam zu erklären, daß sie ganz andere Möglichkeiten hatte, sich vor Ansteckung zu schützen, er würde es ja doch nicht verstehen. Und wenn ihr magischer Schutz vor dieser Krankheit versagte, würde ihr auch eine Maske nicht mehr helfen können. So war das.
Sie hielt ihre Hände unter den kalten Wasserstrahl, atmete tief aus und ein. Langsam fühlte sie neue Stärke, ihre Verbindung zu Mutter Erde erneuerte sich. Ihr unsichtbarer Abwehrschild strahlte, nur für sie sichtbar, ein geheimnisvolles Licht aus. Sie wußte, das waren die Abwehrkräfte, die sie in äußerster seelischer Sammlung in der Ch`i-Welt gefunden hatte. Sie fühlte diese Kräfte um sich herum summen, wie einen Schwarm unsichtbarer Bienen. Sie stand still und betrachtete sich im Spiegel, während helle Lichter ihren Körper umzuckten, wie Botschaften aus einer anderen Welt. Dann erblickte sie im Spiegel hinter sich ein uraltes Frauengesicht, zerknittert und von tiefen Furchen durchzogen. Eine geheimnisvolle Stärke und Würde ging von diesem Gesicht aus, die unzähligen Runzeln leuchteten wie ein Spinnennetz im Mond. Madrone fühlte Hände auf ihren Händen, starke Hände, gute Hände. Da drehte sie sich um und öffnete die Tür zu dem nächstgelegenen Krankenzimmer.
Der große Raum war vollgestellt mit Betten. In den meisten lagen Kinder. Sie schienen besonders anfällig für diese Epidemie zu sein. In der unteren Halle lagen Männer, und in einem besonderen Raum die schwangeren Frauen. Sie würde sie später besuchen. Sie hielt für einen Moment in ihren Bewegungen inne, die Luft war stickig, es roch nach Schweiß, ja, Madrone gestand es sich nur ungern ein, nach Tod. Über allem lag der leicht beißende Geruch von Heilkräutern, die Lou neben einem kleinen Jungen in einem gußeisernen Töpfchen verbrannte. Der Junge lag wie leblos auf der Seite, sein Rücken war mit Akupunktur-Nadeln gespickt. Madrone sah schweigend zu, wie Lou die Nadeln eine nach der anderen vorsichtig wieder herauszog, den Jungen wieder auf den Rücken drehte, und die Decke sorgfältig über ihn
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