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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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breitete.
    Wie stets, wenn sie Lou sah, mußte sie auch gleich an Sandy denken. Beide hatten das gleiche schwarze, seidig glänzende Haar. Lou hatte ihres zwar kurz geschnitten, während Sandy es sehr lang trug. Normalerweise trug er es zu einem Knoten geschlungen und hochgesteckt. Aber sie konnte sich gut vorstellen, wie er in einer Liebesstunde sein Haar öffnete und damit das Gesicht der Geliebten umhüllte, so daß sie beide allein zu sein schienen unter diesem Zelt aus seidigen Haaren. Sie hatte oft genug unter diesem Zelt gelegen, ihre Finger durch dieses wundervolle Haar gleiten lassen. Es war wie ein dichter Wald aus silberschwarzen Birken.
    Lous Augen beobachteten sie über die Gesichtsmaske hinweg.
    »Du hast unser Meeting verpaßt, Liebes«, sagte sie. Und mit einem scharfen Blick auf sie: »Sam hat geschworen, wenn er noch einmal jemanden von uns ohne Gesichtsmaske antrifft, gibt er uns eine Anschauungsstunde in Vivisection.«
    »Mit anderen Worten, er will uns lebend die Haut abziehen«, sagte Aviva, die hinzukam. »Er wird wirklich wütend sein, Madrone, und er hat sicher Grund dazu.« Avivas schwarze Locken waren sorgfältig unter einem weißen Käppchen versteckt, und ihr weißer Kittel war fleckenlos sauber.
    Madrone schüttelt den Kopf. »Er weiß, daß ich ganz andere Möglichkeiten habe. Und seit wann, bitte, stellt er die Regeln auf?«
    »Wir alle haben seinen Anordnungen zugestimmt«, meinte Lou bedächtig.
    »Wir alle? Und wann? Ich bestimmt nicht!«
    »Wenn du die Meetings versäumst, verpaßt du natürlich auch die gemeinsamen Entscheidungen«, parierte Lou.
    »Ich mußte zum Council. Ich kann nicht an zwei Orten gleichzeitig sein«, gab Madrone zurück.
    »Nicht?« Lou hob die Brauen, »Was für eine Sorte Hexe bist du ?«
    »Ich gehöre zu den Wicked Witch of the West«, Madrone sagte es mit stolzem Unterton. Dann machte sie eine wegwerfende Bewegung und holte sich eine der bereitliegenden Gesichtsmasken. Sie fühlte sich dem Ersticken nahe und machte eine verzweifelte Grimasse: »Ich hasse so etwas.«
    »Keiner von uns hat Spaß daran«, sagte Aviva freundlich.
    »Du siehst so müde aus«, sagte Lou, »hast du nicht gut geschlafen?«
    »Du denn?«
    »Du arbeitest zu viel«, begütigte Aviva.
    »Und du nicht? Du bist seit fünf Uhr morgens hier, und ihr zwei sicher noch länger?«
    »Laßt uns aufhören, davon zu reden«, warf Lou ein, »erzähle lieber, wie es beim Council war.«
    »Die Leute bekommen allmählich Angst«, berichtete Madrone von ihrem Eindruck.
    »Wir alle haben Angst«, meinte Aviva, »was hältst du von dieser Epidemie? Glaubst du, es ist eine künstlich erzeugte Epidemie – durch die Stewards?«
    »Ich persönlich glaube das nicht«, sagte Lou entschieden, »ich glaube nicht, daß dies eine Verschwörung der Stewards ist, die Strafe eines rächenden Gottes oder ein geglückter Angriff von Unbekannten aus dem Weltraum. Alles Quatsch. Wir müssen diese Epidemie nur überstehen – weiter gibt es dazu nichts zu sagen.«
    »Und was willst du von mir?« fragte Madrone.
    »Wunderbare Heilungen«, gab Lou zurück, »während ich dran arbeite?«
    Sie besprachen, welche Fortschritte ihre Fälle machten.
    Dann drehten sich Lou und Aviva auf dem Absatz um, während Madrone ruhig stehen blieb. Sie blickte über den Raum, sammelte ihre Kräfte. Dann ließ sie sich eine Stufe tiefer in Trance fallen. Die Körper der Kranken verschwammen unter ihrem Blick zu diffusen Gestalten. Madrone wartete, äußerlich gelassen, innerlich unter Hochspannung, auf einen Befehl, einen Hinweis, sie wußte selbst nicht, auf was sie wartete. Ich werde schon herausfinden, was ich tun muß, beruhigte sie sich. Große Göttin, zeig mir, was ich tun muß, und ich werde es tun, was immer es ist.
    Das Licht verschwamm ihr vor den Augen, hell und dunkel, dunkel und hell, Schatten tauchten auf und verschwanden wieder. Schließlich ging Madrone zum Bett eines Mädchens, das ihr am nächsten lag. Sie setzte sich neben sie aufs Bett und bettete das Kind an ihre Schulter. Die Kleine lastete schwer in ihren Armen, halb bewußtlos. Madrone fühlte die Aura des Todes um das Mädchen schweben. Sie blies dem Kind ihren eigenen frischen Atem ins Gesicht, wieder und wieder und wieder. Eine lange Zeit der Stille verging so, nichts war zu hören außer dem Murmeln und Stöhnen der anderen Kranken und ihrem eigenen Atem. Ihrem Atem, der über das Gesicht des Mädchens strich, tiefer und tiefer in den kranken kleinen Körper

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