Das Fünfte Geheimnis
auch sicher, wenn ein Feuer brannte?
»Es wird kalt«, klagte Littlejohn.
»Laßt uns zusammenrücken, hier unter diesem Abhang«, schlug Bird vor, »so können wir uns gegenseitig ein bißchen warm halten.« Sie rückten eng zusammen. Das ansteigende Gelände hinter ihnen hielt den kühlen Nachtwind ganz gut ab. Doch das Erdreich war feucht und kalt, Littlejohn klapperte bald mit den Zähnen.
»Denk nicht an die Kälte«, riet Hijohn, »wir können nichts dagegen tun. Denk an etwas anderes. Charlie, erzähl' uns mehr über deine Heimat. Wem gehört dort das Wasser?«
»Wie meinst du das?«
»Nun das Wasser. Wasser zum Trinken, zum Bewässern der Gärten und Felder. Wem gehört das Wasser?«
»Niemandem. Bei mir zu Hause kann niemand Wasser besitzen.«
»Aber irgendwem wird es doch gehören«, meinte Littlejohn, »irgendwer ist immer der Eigentümer.«
»Wir glauben, daß die Vier Heiligtümer niemandem gehören können«, erklärte Bird, »und Wasser ist eines der vier Heiligen Dinge. Die anderen sind Erde, Luft und Feuer. Niemand kann diese vier Dinge besitzen, sie gehören allen. Denn das Leben aller Menschen hängt von diesen vier Dingen ab.«
»Genau das wäre doch der Grund, diese vier Dinge besitzen zu wollen«, wunderte sich Littlejohn, »wenn dein Leben davon abhängt, ist es doch gut, so etwas zu besitzen. Jeder wird dir viel Geld dafür bezahlen. Jeder wird es haben wollen, wird stehlen, lügen oder töten dafür.«
»Genau deshalb darf es niemand besitzen«, antwortete Bird.
»Aber wenn das Wasser niemandem gehört, wer entscheidet dann darüber, wer Wasser bekommt und wer nicht?«, wunderte sich Hijohn.
»Das entscheiden wir alle gemeinsam. Viermal im Jahr schickt jeder Haushalt jemanden zum Nachbarschafts-Council. Dort wird dann über die Verteilung des Wassers beraten. Das Council entscheidet auch über die notwendigen Arbeiten an den Bewässerungskanälen und Dämmen. Jeder Haushalt hat seine eigene Zisterne, die mit dem winterlichen Regen gefüllt wird. Das reicht aber nicht für den ganzen Sommer. Deshalb holen wir Wasser aus den Flüssen, von den Sierras und aus den großen Reservoirs auf den Hügeln hinter der Stadt. Das machen wir alle gemeinsam.«
»Und was ist, wenn ihr euch einmal nicht einigen könnt?«
»Wir diskutieren so lange, bis wir uns einig sind. Das klappt schon.«
»Und wenn doch mal nicht?«
»Wir haben uns bisher immer geeinigt. Wir wissen, was uns sonst droht.«
»Was denn?«
»Die Herrschaft der Stewards, oder etwas Ähnliches.«
In der Stille hörten sie die Rufe der Nachtvögel. Der Wind hatte sich gelegt, es war nicht mehr so kalt.
»Nun, wo wir zu Hause sind, da mußt du zahlen«, sagte Hijohn, »die Stewards kontrollieren alle Wasserquellen. Das ist auch der Grund, weshalb sie ‘28 an die Macht kommen konnten. Die Millennialisten unterstützten sie mit Geld. Im Gegenzug erließen die Stewards Gesetze nach dem religiösen Geschmack der Millennialisten. Heute ist jeder gezwungen, für die Stewards zu arbeiten und den Glaubensvorstellungen der Millennialisten zu folgen. Wer das nicht tut, bekommt kein Wasser und keine Lebensmittel zugeteilt.«
Bird seufzte. »Von den Millennialisten haben wir schon in der Schule gehört. Sie sind Teil unserer Geschichte, die dazu führte, daß wir unsere City neu gründeten. In den zwanziger Jahren hatten sie großen politischen Einfluß. Aber wir können uns heute nur schwer vorstellen, daß irgend jemand sie ernst genommen hat. Das ganze salbungsvolle Gerede von der Wiederkehr Jesu im Jahre 1999 und der Verdammung aller Sünder in die Hölle!«
»Jesus kam und verließ uns Menschen wieder«, sagte Hijohn, »er verließ uns, und seitdem haben wir Menschen die Pflicht, gegen die Sünde zu kämpfen.«
»Und die Menschen bei euch glauben das wirklich?«
»Viele«, nickte Hijohn, »oder geben es zumindest vor. Sie müssen es, wenn sie einen Job wollen, ein Dach über dem Kopf und etwas im Bauch. Oder sie schließen sich den Widerstandskämpfern in den Bergen an.«
»Schwer vorstellbar«, schüttelte Bird den Kopf, »selbst nach den Erlebnissen, die wir hinter uns haben.«
»Für mich ist es schwer vorstellbar, daß es eine City gibt, wo niemand durstig ist«, sagte Littlejohn, »das ist es, wofür wir kämpfen. Daß es soetwas gibt, ist kaum zu glauben.«
»Niemand bei uns ist durstig oder hungrig«, bekräftigte Bird noch einmal, »niemand muß bei uns ins Gefängnis.« Einige Momente lang zweifelte Bird selbst an
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