Das fuenfte Imperium
scheißt, plus 0,2 mm.
Mein letzter Eintrag im Lehrgang Glamourdiskurs war dieser:
Antiglamour ist auf dem besten Wege, die aussichtsreichste Technik zur Beförderung des Glamours zu werden. Vermittels seiner »Bloßstellung« infiltriert der Glamour Winkel und Verliese, wo er von allein nie hingekommen wäre.
Nicht alle Verkostungen hatten einen einsichtigen Zweck. Baldur ließ mich des Öfteren in einen Menschen hineinsehen, nur damit ich ein bestimmtes spanisches Schuhmodell aus Krokodilleder kennenlernte oder eine Kollektion Eau de Cologne für den Herrn, tatsächlich aus Köln. Ein galanter englischer Wirtschaftswissenschaftler befand sich als Spezialist für teure Claretsorten im Glamourständer, darauf folgte die Bekanntschaft mit einem japanischen Modedesigner, der die besten Seidenkrawatten der Welt entwarf. (Wie sich herausstellte, hatte sein Vater am Galgen geendet.) Das alles erschien mir natürlich erst einmal als purer Kräfteverschleiß. Bis mir irgendwann aufging, dass es bei diesen Ausflügen nicht bloß um Zufluss an Information ging, sondern um eine Transformation meines gesamten Denkens.
In den mentalen Abläufen besteht nämlich zwischen Vampiren und Menschen ein gravierender Unterschied. Zwar verwenden beide die gleichen Denkfiguren. Doch von einer zur anderen bewegt sich der Vampir auf vollkommen anderen Wegen. Was bei ihm der edlen Flugbahn einer durch die Dämmerung jagenden Fledermaus gleicht, ist beim menschlichen Denken so vorhersehbar wie das Kreisen einer Stadttaube über einer verschneiten Müllkippe.
»Nur die Besten unter den Menschen können annähernd so gut denken wie Vampire«, sagte Baldur. »Sie nennen es Genialität.«
Jehovas Kommentare waren diesbezüglich zurückhaltender.
»Genialität, na, ich weiß nicht«, sagte er. »Die lässt sich weder definieren noch analysieren. Wir haben es hier mit ganz durchschaubaren Prozessen zu tun. Vampirisches Denken entsteht dort, wo die Quantität an Verkostungen umschlägt in eine neue Qualität assoziativer Verknüpfungen.«
Rein technisch gesehen, war mein Gehirn schon bereit und in der Lage, auf neue Art zu funktionieren. Doch die Trägheit der menschlichen Natur forderte ihren Tribut. Viele Dinge, die für meine Mentoren selbstverständlich waren, kapierte ich einfach nicht. Was ihnen als logische Brücke erschien, war für mich oft ein gedanklicher Abgrund.
»Glamour hat zwei wesentliche Aspekte«, hörte ich Jehova in einer der Stunden sagen. »Zum einen die brennende, unerhört peinigende Scham ob der Kümmerlichkeit der eigenen Existenz, der körperlichen Unvollkommenheit. Zum anderen die rachsüchtige Häme, die einen angesichts der unverhüllten Kümmerlichkeit eines anderen überkommt...«
»Wieso das nun wieder?«, wunderte ich mich. »Ich dachte, Glamour wäre durch Geld artikulierter Sex. Jedenfalls etwas Attraktives. Wo ist das hin?«
»Du denkst wie ein Mensch«, stellte Jehova fest. »Sag selbst: Wo ist es hin?«
Ich dachte nach. Doch mir fiel nichts ein.
»Ich weiß es nicht«, bekannte ich.
»Nichts ist von sich aus kümmerlich oder hässlich. Es braucht einen Bezugspunkt. Damit ein Mädchen merkt, dass es arm und hässlich ist, muss sie ein Boulevardmagazin aufschlagen, wo man ihr die superreiche Schönheitskönigin präsentiert. Damit sie was hat, sich zu vergleichen.«
»Und wozu muss sie das?«
»Versuch es dir selbst zu erklären.«
Ich dachte nach.
»Sie muss das, weil ...« Mit einem Mal ging mir die Vampirlogik auf. »Sie muss das, damit die, die durch diese Journale zu hässlichen Entlein werden, die Hefte mit ihren paar Kröten auch weiterhin finanzieren!«
»Gut getroffen! Aber das ist nicht die Hauptsache. Du sprichst von der Finanzierung des Glamours. Aber worin besteht sein Ziel?«
»Der Glamour kurbelt die Wirtschaft an? Weil seine Opfer Geld beschaffen müssen?«, riet ich aufs Geratewohl.
»Das wäre eine zu menschliche Logik. Du bist doch kein Ökonom, Rama, du bist Vampir. Konzentriere dich!«
Ich schwieg, mir fiel nichts mehr ein.
Jehova wartete noch ein Minütchen, bevor er die Lösung bekanntgab: »Glamour hat zum Ziel, das Leben des Menschen in einer Wolke aus Schmach und Selbstverachtung vergehen zu lassen. Ein Zustand, welcher Ursünde geheißen wird - und in den man gelangt, indem man unentwegt Bilder von Schönheit, Erfolg und intellektueller Brillanz konsumiert. Glamour und Diskurs versenken ihre Konsumenten in Elend, Kümmerlichkeit und Idiotie. Alles Eigenschaften,
Weitere Kostenlose Bücher