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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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die Wohnung zurück, setzte mich an den Schreibtisch. Nahm den Brieföffner aus Elfenbein, schlitzte dem Kuvert den Bauch auf, drehte es um. Ein großes Farbphoto kam hervorgerutscht, dazu ein mit großer, akkurater Handschrift beschriebener Bogen Papier.
    Das Photo zeigte ein Mädchen meines Alters mit wunderlich gefärbtem Haarschopf: hellblonde, fuchsrote, karminrote und kastanienbraune Strähnen bunt durcheinander, vermittels Gel in eine Form gebracht, die an einen Heuschober erinnerte, nachdem eine Artilleriegranate hineingefallen ist. Es sah lustig aus, schien mir aber zum Beispiel in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht eben praktisch zu sein.
    Ihr Gesicht zu beschreiben fällt mir schwer. Es war schön. Doch war dies nicht die Art von Schönheit, die offensichtlich und konventionell ist und die eher markttechnische Erwägungen hervorruft als persönliche Gefühle. Dieses Gesicht war anders. Von solchen Gesichtern meint man, kein anderer als man selbst könnte den Zauber darin entdecken, alle Welt ginge blind daran vorbei - weshalb man das, was man da vor sich sieht, kurzerhand ins Privateigentum überführt. Und wenn sich dieser einseitige Deal als ungültig herausstellt, weil andere, genauso verblendet, gleichfalls ihre Ansprüche anmelden, fühlt man sich verraten ... Außerdem meinte ich das Mädchen schon auf einem UserPic im Livejournal gesehen zu haben.
    Ich nahm den Briefbogen zur Hand und las:
    Grüss dich, Rama.
    Wahrscheinlich kannst Du Dir schon denken, wer ich bin.
    Ich heiße Hera und bin so ziemlich zur gleichen Zeit wie Du Vampir geworden (oder muss es Vampirin heißen? keine Ahnung), eine Woche nach Dir ungefähr. Bei mir geht gerade der Glamour- und Diskursunterricht los, Baldur und Jehova halten ihn ab. (Sie haben mir ein paar lustige Geschichten über dich erzählt.) Einstweilen macht mir das alles viel Spaß. Ich bin, ehrlich gesagt, ein ziemlich dummes Ding, aber wenn ich erst Diskurs lerne, gibt sich das schnell, heißt es. Ich frage mich allerdings, ob sie mir vorher noch einen großen Speicher ans Gehirn schrauben wollen?
    Soweit ich weiß, werden wir uns beim Großen Sündenfall zum ersten Mal treffen. Habe gehört, Du hättest ziemlich großen Bammel davor. Ich auch ein bisschen, mach Dir nichts draus. Aber sag doch selbst: Eigentlich ist es bescheuert, vor etwas Angst zu haben, wovon man nicht die geringste Vorstellung hat.
    Gerne würde ich mir von Dir schon mal ein Bild machen. Irgendwie denke ich, wir zwei könnten gute Freunde werden. Schick mir doch bitte ein Photo von Dir. Du kannst es irgendwem mitgeben oder per email schicken.
    Bis bald! Hera
    Unten angehängt war ihre email-Adresse, dazu eine weitere Netzadresse, endend auf .mp 3. Sie schickte mir Musik!
    Besonders gefiel mir, dass die lange URL zu dem Lied von Hand geschrieben war, mit sorgfältig gemalten, nach rechts geneigten Buchstaben. Das fand ich irgendwie rührend. Aber vielleicht bezauberten mich diese ganzen Details auch nur deshalb, weil ich ihr Photo gesehen hatte.
    Ich lud das Lied herunter. Es war Not alone anymore von den Travelling Wilburys. Hinter diesem Namen verbargen sich George Harrison, Jeff Lynne vom Electric Light Orchestra und weitere Greenback-Sound-Titanen. Das Lied gefiel mir - besonders das Ende, wo die Zeile You're not alone anymore dreimal wiederholt wird, und das mit so viel lyrischer Kraft, dass ich beinahe schon vom Anhören glaubte, nicht mehr allein zu sein.
    Hera fängt gerade erst an, Glamour und Diskurs zu lernen, überlegte ich. Demnach bin ich weit erfahrener und beschlagener als sie. Das sollte meinem Photo anzusehen sein. Mir fiel ein, mich vor dem Hintergrund des Archivs aufzunehmen, dessen polierte Front auf so einem Photo bestimmt gut kam.
    Ich zog mein bestes Jackett an, setzte mich in einen Sessel, den ich von nebenan herübergetragen hatte, und machte ein paar Probeaufnahmen. Irgendwie schien mir die Komposition noch unausgereift. Ich stellte eine Flasche teuren Whisky auf den Tisch, dazu ein fettes Kristallglas, knipste wieder ein paar Photos. Es fehlte immer noch was. Schließlich steckte ich mir einen Platinring mit dunklem Stein, den ich im Sekretär gefunden hatte, an den Finger und stützte das Kinn auf die Hand, damit man den Ring besser sah. Ich machte einen Haufen Photos und wählte dasjenige aus, auf dem ich einem gelangweilten Dämon am nächsten kam. (Um diesen Effekt zu erzielen, hatte ich mir zwei dicke Bände der medizinischen Enzyklopädie unter den Hintern

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