Das fuenfte Imperium
schieben müssen.)
Danach setzte ich mich an den Computer und schrieb die folgende Antwort:
Ifin,
Nett, von dir einen Brief zu kriegen. Du bist sehr lieb. Freut mich, nicht mehr allein zu sein. Das heißt, wir sind jetzt zusammen allein, nicht wahr? Lerne Glamour und Diskurs, das erweitert Deine Horizonte beträchtlich. Tät mich freuen, Dich zu sehen. Schmatz, Rama P. S. Im Anhang findest du ein bisschen ernste Musik.
Ich hatte mir Mühe gegeben, nüchtern, knapp und ironisch zu sein, weil ich annahm, dass man damit bei Frauen am ehesten bleibenden Eindruck schindet. Ifin war das Wort Baby, wenn man es mit kyrillischer Tastaturbelegung schrieb. Bestehend aus if und in, hatte es etwas stark Psychoanalytisches. Ich war selbst darauf gekommen.
Als Musikbeilage hängte ich zehn Megabyte Nachtmesse im tibetischen Tempel an: ein eindringlich-monotones Rezitativ auf Chinesisch in Begleitung exotischer Schlaginstrumente. Die Aufnahme staubte seit Längerem auf meiner Festplatte vor sich hin, endlich hatte ich einmal Verwendung dafür. Blieb nur zu hoffen, dass Heras Zunge dieses Gewicht aushielt. Ich unterzog mein Photo einer letzten peniblen Musterung - es kam mir ansprechend vor. Dann sandte ich die Mail ab.
LOKI
Der letzte Lehrgang für den angehenden Vampir hatte es noch einmal in sich. Er nannte sich »Kampf- und Liebeskunst«.
Den Unterricht führte Loki, ein großer, hagerer alter Mann mit langen gelben Haaren, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem romantischen Dichter Tjuttschew aufwies, nur ohne den aristokratischen Schliff. Er trug beständig eine Nickelbrille und ein langes schwarzes Jackett mit fünf Knöpfen, das an einen Gehrock aus den Zeiten des Krimkriegs erinnerte.
Einen zweiten Lehrer gab es nicht, Loki unterrichtete beide Fächer. Zuerst kam der Kampfkunstlehrgang dran, anschließend sollte die Liebe zur Meisterschaft geführt werden.
Loki war älter als Baldur und Jehova. Es schien merkwürdig, dass ausgerechnet so ein Greis seine Schüler in Kampfkunst unterwies - doch ich kannte die weißbärtigen Meister aus den Hongkong-Filmen und wollte darum keine voreiligen Schlüsse ziehen.
Loki pflegte eigentümliche Unterrichtsmethoden. Er trug nicht vor, er diktierte - und verlangte, dass ich Wort für Wort mitschrieb. Außerdem hatte ich mit Federhalter zu schreiben, und die Tinte hatte violett zu sein. Die Schreibutensilien brachte er zur ersten Stunde in seinem schwarzen Köfferchen mit, dem gleichen, wie Baldur und Jehova es hatten. Auf meine Frage, wozu das alles, fiel die Antwort knapp aus:
»Tradition.«
Die erste Stunde begann damit, dass er vor die Wand trat und mit Kreide einen Satz daran schrieb:
Das Geheimnis der Zählebigkeit auch des zählebigsten Menschen besteht nur darin, dass ihn noch keiner zu töten vermochte. Loki IX.
Ich verstand, dass er sich hier selbst zitierte.
»Das bleibt bis zum Ende des Lehrgangs stehen«, ordnete er an. »Ich möchte, dass dieses Prinzip in deinem Bewusstsein ordentlich Wurzeln schlägt.«
Dann hieß er mich am Tisch vor meinem Heft Platz nehmen, legte die Hände auf den Rücken und begann im Zimmer auf- und abzuwandern. Währenddessen diktierte er in betulichem Tempo:
»Die Kampfkunst des Vampirs ... unterscheidet sich faktisch nicht... von der des Menschen ... soweit sie die Technik des Nahkampfs Mann gegen Mann betrifft ... Ein Vampir wendet die gleichen Schläge, Würfe und Finten an ... die im klassischen Zweikampf anzutreffen sind ... Hast du’s? Der Unterschied besteht darin, wie der Vampir diese Techniken benutzt ... Die Kampfkunst der Vampire ist extrem amoralisch und darum effektiv ... Ihr bestimmendes Moment ist, dass der Vampir sofort, im ersten Zugriff, den gemeinsten und brutalsten aller in Frage kommenden Tricks zur Anwendung bringt ...«
Ich hob den Kopf vom Heft.
»Und wie lässt sich jeweils bestimmen, welches der gemeinste und brutalste Trick ist?«
»Oho!«, Loki hob den Zeigefinger. »Sehr gut! Die Frage trifft ins Schwarze. Wenn ein Vampir einen Kampf verliert, dann meistens deshalb, weil er zu lange darüber nachdenkt, welcher seiner Tricks im gegebenen Fall der gemeinste und brutalste ist. Darum darf man in dieser Situation gar nicht nachdenken. Man muss seinem Instinkt vertrauen. Und um ihm vertrauen zu können, muss man die Gemeinheit des Ganzen vorübergehend ausblenden. Das ist es, was diese Kampfstrategie so gemein macht. Ein Paradoxon. Hast du’s?«
»Ja«, sagte ich. »Aber die Menschen vertrauen ja genauso
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