Das fünfte Kind. Roman
Tischende, nahe dem Herd, rührte endlos in ihrem Tee und hatte dabei ein Auge auf den kleinen Paul, der in seinem Kinderstühlchen quengelte und jemanden zum Schmusen suchte. Dorothy sah selbst müde aus. Ihr graues Haar war zerzaust. Auf dem Weg in ihr Zimmer, wo sie sich frisch machen wollte, war sie von Luke, Helen und Jane abgefangen und stürmisch abgeküsst worden; die Kinder hatten sie vermisst. Jetzt wussten sie, dass die gereizte und hektische Stimmung, die seit Wochen im Haus herrschte, ein Ende haben würde.
»Ihr wisst, dass zu Weihnachten wieder alle kommen wollen«, sagte Dorothy mit Nachdruck und sah Harriet und David dabei bewusst nicht an.
»Oh ja, ja, ja!«, jubelten Luke und Helen, tanzten in der Küche herum und sangen dazu: »Ja, ja, ja! Wann kommen sie denn? Kommt Tony auch? Und Robin? Und Anne?«
»Setzt euch«, befahl David so kalt und scharf, dass sie ihn verblüfft und verletzt anblickten und gehorchten.
»Es ist ein Wahnsinn«, sagte Dorothy. Sie war hochrot von dem heißen Tee und all den Wahrheiten, die sie mit Gewalt hinunterschluckte.
»Natürlich müssen alle kommen!«, schluchzte Harriet auf und lief hinaus.
»Es ist ihr sehr wichtig«, sagte David entschuldigend.
»Dir nicht?«, fragte Dorothy sarkastisch.
»Die Sache ist die, dass Harriet völlig durcheinander ist«, erklärte David. Dabei sah er Dorothy an und versuchte ihren Blick auf sich zu ziehen. Aber sie ließ sich nicht darauf ein.
»Was heißt das, Mutter ist völlig durcheinander?«, forschte der sechsjährige Luke, bereit, ein Wortspiel daraus zu machen. Oder vielleicht ein Rätsel. Doch er schien etwas verängstigt. David streckte den Arm nach ihm aus, und der Junge kam näher und sah ihm aufmerksam ins Gesicht.
»Nichts, Luke, ist schon gut.«
»Ihr müsst euch eine Hilfe suchen«, sagte Dorothy.
»Das haben wir schon mehrmals versucht.« David erzählte, wie es ihnen mit den drei netten und gleichgültigen Mädchen ergangen war.
»Das wundert mich nicht. Wer will heutzutage noch redlich arbeiten?«, sagte Dorothy. »Aber ihr kommt nicht mehr ohne Hilfe aus. Und lass dir eins sagen: Ich beabsichtige nicht, mein Leben als euer und Sarahs Dienstmädchen zu beschließen.«
Luke und Helen starrten ihre Großmutter ungläubig und entsetzt an und brachen in Tränen aus.
Nach einer kurzen Pause nahm Dorothy sich spürbar zusammen, um sie zu trösten. »Ist schon gut, schon gut«, murmelte sie. »Und nun bringe ich Paul und Jane zu Bett. Ihr beide, Luke und Helen, könnt schon allein schlafen gehen. Ich komme später zum Gutenachtsagen. Und dann möchte eure Oma selbst schlafen. Ich bin müde.«
Die Kinder schlichen eingeschüchtert die Treppe hinauf.
Harriet kam diesen Abend nicht mehr herunter, aber ihr Mann und ihre Mutter wussten ohnehin, dass ihr übel war. Daran hatte man sich mittlerweile gewöhnt, aber nicht an Gereiztheit, schlechte Laune und Tränen.
Als die Kinder im Bett lagen, erledigte David einiges von der Arbeit, die er aus dem Büro mitgebracht hatte, und machte sich ein Sandwich. Dorothy, die zu einer letzten Tasse Tee herunterkam, gesellte sich zu ihm. Diesmal vermieden sie jeden Wortwechsel und saßen nur in einträchtigem Schweigen beieinander, wie zwei alte Kampfgenossen, die neuen Feuerproben und Schwierigkeiten entgegensehen.
Dann ging David hinauf in das große, halbdunkle Schlafzimmer, wo die erleuchteten Fenster eines ziemlich weit entfernten Nachbarhauses Licht- und Schattenmuster an die Decke warfen. Er stand da und blickte auf das breite Bett, in dem Harriet lag. Schlief sie? Der kleine Paul lag schlafend und bloß gestrampelt an sie geschmiegt. David beugte sich nieder, wickelte Paul vorsichtig in seine Schmusedecke und trug ihn ins Nebenzimmer. Am Aufblinken von Harriets Augen sah er, wie sie seinen Bewegungen folgte.
Er legte sich neben sie und streckte, wie immer, einladend den Arm aus, damit sie den Kopf darauf betten und sich an ihn heranziehen lassen konnte.
Aber sie sagte: »Fühl mal!«, und leitete seine Hand auf ihren Bauch.
Sie war ungefähr im dritten Monat, und dieses neue Baby hatte bisher noch kein Lebenszeichen von sich gegeben. Aber nun fühlte David ein Zucken unter seiner Hand, dem ein paar ziemlich harte Stöße folgten.
»Kann es sein, dass du nicht erst im dritten bist?« Er spürte das Gerumpel von Neuem und konnte es kaum glauben.
Harriet weinte schon wieder, und David fand im Stillen, obwohl es natürlich unfair war, dass sie sich nicht mehr an die
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