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Das fünfte Paar

Das fünfte Paar

Titel: Das fünfte Paar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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dumm sein - und dafür halte ich ihn nicht. Es muß ihm doch klar sein, daß du nach dem Erscheinen seiner Serie zwei und zwei zusammengezählt hast.«
    »Nein - dumm ist er nicht.« Abby starrte aus dem Seitenfenster. Ich öffnete das Sonnendach.
    »Natürlich ist ihm klar, daß ich Bescheid weiß«, sagte sie. »Dumm ist er wirklich nicht - und ein großartiger Schauspieler: Niemand merkt, daß er verrückt ist.«
    »Schwer zu glauben, daß ein Verrückter es so weit bringen kann«, meinte ich.
    »Das ist Washington«, antwortete sie zynisch. »Die erfolgreichsten und mächtigsten Leute leben dort, und die eine Hälfte von ihnen ist verrückt und die andere neurotisch. Und kaum einer hat Moral. Das sind die Auswirkungen der Macht. Ich verstehe nicht, daß Watergate irgend jemanden überrascht hat.«
    »Und wie hat sich die Macht auf dich ausgewirkt?« fragte ich.
    »Ich weiß, wie sie schmeckt, aber ich war nicht lange genug in D. C., um süchtig zu werden.«
    »Vielleicht ist das ein Glück für dich.« Sie schwieg.
    Ich dachte an Pat Harvey. Wie es ihr wohl ging? »Hast du mit Pat Harvey gesprochen?«
    »Ja.«
    »Nach der Artikelserie in der Post?« Sie nickte. »Was macht sie für einen Eindruck?«
    »Ich habe mal einen Bericht von einem Mann gelesen, der im damaligen Kongo als Missionar arbeitete. Er beschrieb, wie er eines Tages auf einen Häuptling traf, der völlig normal aussah - bis er lächelte: Alle seine Zähne waren spitz zugefeilt. Er war Kannibale.«
    Ihre Stimme bebte vor Zorn. Ich hatte keine Ahnung, worauf sie hinauswollte.
    »Bevor ich neulich nach Roanoke fuhr, schaute ich bei Pat Harvey rein. Wir sprachen kurz über die Serie in der Post, und sie wirkte völlig normal - bis sie lächelte: Dieses Lächeln ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.«
    Ich wußte nicht, was ich dazu sagen sollte.
    »Und da erkannte ich«, fuhr Abby fort, »daß Cliffs Artikel sie in den Abgrund gestürzt hatten. Deborahs Ermordung hatte sie an den Rand getrieben - die Serie versetzte ihr den letzten Stoß. Es war gespenstisch: Ich hatte das Gefühl, mit einer Toten zu sprechen.«
    »Wußte sie, daß ihr Mann ein Verhältnis hatte?«
    »Jedenfalls weiß sie es jetzt.«
    »Glaubst du denn, daß es tatsächlich stimmt?«
    »Man kann gegen Cliff sagen, was man will - aber er würde nie was schreiben, wofür er keine Beweise hat.«
    Ich fragte mich, was passieren müßte, um mich in den Abgrund zu stürzen. Etwas mit Lucy oder Mark? Ein Unfall, nach dem ich meine Hände nicht mehr benutzen könnte oder blind wäre? Ich stellte mir den Zustand, lebendig und doch tot zu sein, entsetzlich vor - aber vielleicht merkte man es gar nicht, wenn es soweit war. Kurz nach Mittag kamen wir in Old Towne an. Die Wohnanlage, in der Jill und Elizabeth gelebt hatten, bestand aus lauter gleich aussehenden Backsteinhäusern mit roten Markisen über den Eingängen, auf denen die Blocknummern standen. Winterbraune Grasflecken waren von schmalen, jetzt mit Rindenmulch bedeckten Blumenbeeten eingefaßt. Es gab Grillplätze mit Picknicktischen und Schaukelgerüsten.
    Wir stiegen aus und schauten zu dem Balkon hinauf, der zu Jills ehemaligem Apartment gehörte. Durch die breiten Zwischenräume des Geländers sah man zwei Liegestühle mit weißblauem Plastikgeflecht. Von einem Haken in der Decke baumelte eine Kette herab, die der Wind leicht hin- und herschwingen ließ. Wahrscheinlich war sie für eine Blumenampel gedacht. Elizabeth hatte auf der anderen Seite des Parkplatzes genau gegenüber gewohnt.
    Eine Weile schwiegen Abby und ich bedrückt. Dann sagte sie: »Die beiden waren mehr als Freundinnen, stimmt's?«
    »Darauf könnte ich nur mit Hörensagen antworten.«
    Sie lächelte schwach. »Ich habe mir schon damals, als ich die Morde recherchierte, Gedanken darüber gemacht - aber niemand deutete etwas in dieser Richtung an.« Sie starrte vor sich hin. »Ich kann mir gut vorstellen, wie sie sich gefühlt haben.«
    Ich sah sie fragend an.
    »Es muß so gewesen sein wie bei Cliff und mir: Bestimmt hatten auch sie immer Angst, es könnte jemand etwas merken, und konnten ihre Liebe nie unbeschwert genießen.« Wir setzten uns wieder in den Wagen.
    »Die Ironie ist«, sagte ich und ließ den Motor an, »daß die Leute sich überhaupt nicht dafür interessieren: Sie sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.«
    »Ob Jill und Elizabeth das je begriffen hätten?«
    »Wenn ihre Liebe eines Tages über ihre Furcht gesiegt hätte, wäre es ihnen

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