Das fünfte Paar
Sie mich an.«
Abby bombardierte mich mit Fragen. Danach verfielen wir in Schweigen. Mein Magen revoltierte, und ich spielte verschiedentlich mit dem Gedanken, anzuhalten, weil ich fürchtete, mich übergeben zu müssen.
Abby musterte mich. Ich spürte ihre Besorgnis. »Du bist weiß wie ein Laken, Kay!«
»Es geht mir gut.«
»Soll ich lieber fahren?«
»Nein, nein - es geht mir gut. Wirklich.«
Als wir zu Hause ankamen, ging ich sofort in mein Schlafzimmer hinauf. Meine Hände zitterten, als ich zum Hörer griff und die Nummer wählte. Nach dem zweiten Klingeln schaltete sich Marks Anrufbeantworter ein. Eigentlich wollte ich gleich wieder auflegen, doch die Stimme zog mich in ihren Bann. »Es tut mir leid, ich bin augenblicklich nicht da ...« Als der Piepston in mein Ohr schrillte, zögerte ich kurz und legte dann langsam auf. Als ich aufschaute, sah ich Abby in der Tür stehen. An ihrem Gesichtsausdruck erkannte ich, daß sie wußte, was ich gerade getan hatte. Meine Augen füllten sich mit Tränen.
Sie setzte sich neben mich auf die Bettkante. »Warum hast du ihm keine Nachricht hinterlassen?«
»Woher weißt du, wen ich angerufen habe?« fragte ich mit mühsam gefestigter Stimme.
»Weil ich das kenne: Wenn ich mich über irgendwas aufrege, rufe ich bei Cliff an - auch jetzt noch, nach allem, was er mir angetan hat.«
»Und dann?«
»Dann tue ich das gleiche wie du.«
»Das ist gut.«
Sie musterte mich eingehend. »Was hast du gefühlt, als du in die Buchhandlung gingst und den Kerl sahst?«
»Ich weiß nicht genau.«
»Wie konntest du dich so in Gefahr bringen?«
»Das fragst ausgerechnet du?«
Sie lächelte. »Du hast recht. Ich verstehe dich: Menschen wie wir können nicht anders - wir werden von irgendeiner geheimnisvollen Macht angetrieben, vorwärtsgepeitscht...«
Ich brachte es nicht über mich, ihr meine Angst zu gestehen. Wenn Mark den Hörer abgenommen hätte - ich wußte nicht, ob ich sie ihm hätte eingestehen können.
Abby starre ins Leere, und ihre Stimme schien von weither zu kommen, als sie fragte: »Du hast so viel mit dem Tod zu tun - denkst du jemals an deinen eigenen?«
»Ich möchte wissen, warum Marino sich nicht meldet.« Ich griff erneut zum Telefon.
16
Unruhe. Tage vergingen. Ich wartete voller Spannung und Unruhe. Seit ich ihm von meinem Besuch in der Buchhandlung erzählt hatte, hatte ich nichts mehr von Marino gehört - und auch von niemand anderem. Mit jeder Stunde, die verging, wurde die Funkstille lauter und unheildrohender.
Als ich am ersten Tag des Frühlings aus dem Konferenzraum kam, wo mich zwei Anwälte drei Stunden lang aufgehalten hatten, teilte Rose mir mit, daß ich am Telefon verlangt werde.
»Kay? Hier ist Benton.«
»Guten Tag.« Adrenalin rauschte durch meine Adern.
»Können Sie morgen nach Quantico kommen?«
Ich zog meinen Terminkalender zu Rate. Rose hatte eine Besprechung eingetragen, doch die konnte ich verschieben.
»Wann?« »Um zehn, wenn Ihnen das paßt. Marino wird auch dasein.« »Worum geht es?«
»Ich habe jetzt keine Zeit - bis morgen dann.«
Als ich das Büro verließ, war die Sonne schon untergegangen und die Luft kalt. Beim Einbiegen in meine Zufahrt sah ich Licht im Haus: Abby war da.
In den letzten Wochen hatten wir uns wie ein Paar benommen, das in Scheidung lebt: Wir gingen beide unserer Wege, sprachen kaum ein Wort miteinander und sahen uns nur selten. Abby kaufte grundsätzlich nicht ein, klebte aber ab und an einen Fünfzigdollarschein an den Kühlschrank, der für das wenige, das sie aß, mehr als ausreichte. Wenn der Scotch zur Neige ging, fand ich einen Zwanzigdollarschein unter der Flasche. Ein paar Tage zuvor hatte ich auf einer leeren Waschpulverschachtel fünf Dollar entdeckt. Es war wie beim Ostereiersuchen.
Als ich die Haustür aufsperrte, stand plötzlich Abby vor mir - so unvermittelt, daß ich zusammenfuhr.
»Tut mir leid, sagte sie. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich hörte dich kommen und wollte dir aufmachen.«
Meine Reaktion war wirklich albern - aber seit Abby bei mir wohnte, wurde ich zusehends nervöser. Ich führte das darauf zurück, daß ich mich in meiner Privatsphäre gestört fühlte.
»Soll ich dir einen Drink machen?« Sie sah müde aus.
»Das wäre schön.«
Ich knöpfte meinen Mantel auf. Mein Blick wanderte zur offenen Wohnzimmertür. Auf dem Couchtisch sah ich zwischen einem überquellenden Aschenbecher und einem halbvollen Weinglas ein paar kleine Notizblöcke, wie sie
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