Das fünfte Paar
Schwefel - selbst wenn sie sich ansonsten nicht vertragen.«
»Aber Sie haben mit anderen Leuten gesprochen«, sagte Marino.
»Mit einigen - von der Navy, der UVA und seinem früheren Arbeitgeber in der Druckerei.«
»Und was wußten die über den Kerl zu berichten?«
»Er ist ein Einzelgänger. Kein engagierter Journalist - las lieber, als Interviews zu machen oder Stories zu schreiben. Die Druckerei kam ihm da sehr gelegen: Wenn wenig los war, verzog er sich irgendwohin und steckte die Nase in ein Buch - oder er wienerte die Pressen. Das tat er mit wahrer Begeisterung. Manchmal vergingen Tage, ohne daß er mit jemandem ein Wort sprach. Sein Chef beschrieb ihn als "eigenartig".«
»Hat er Beispiele dafür gebracht?«
»Mehrere. Eine Frau, die bei der Druckerei angestellt war, schnitt sich eines Morgens mit einem Papierschneider eine Fingerspitze ab, und Steven bekam einen Wutanfall, weil sie ein Maschinenteil vollblutete, das er gerade geputzt hatte. Auch seine Reaktion auf den Tod der Mutter war anormal: Steven saß mit einem Buch in der Kantine, als der Anruf vom Krankenhaus kam. Nach dem Gespräch kehrte er, ohne eine Gefühlsregung zu zeigen, zu seinem Stuhl zurück und las weiter.«
»Ein wirklich warmherziger Bursche«, sagte Marino.
»Dieses Adjektiv ist niemandem zu ihm eingefallen.«
»Und was unternahm er nach dem Tod seiner Mutter?« fragte ich. »Nun - ich nehme an, Steven bekam sein Erbe ausbezahlt. Er zog nach Williamsburg und eröffnete den "Austeiler" am Merchant's Square. Das war vor neun Jahren.«
.»Ein Jahr, bevor Jill Harrington und Elizabeth Mott ermordet wurden«, murmelte ich.
Wesley nickte. »Er war damals schon in der Gegend - und er ist es während all der Morde gewesen. Urlaub machte er nie – aber vor sieben Jahren sperrte er für fünf Monate zu. Wir wissen weder weshalb, noch wo er in dieser Zeit war.«
»Er schmeißt den Laden allein?« erkundigte sich Marino.
«Ja - es ist ja keine große Sache. Montags hat er geschlossen.
Wenn keine Kunden da sind, sitzt er hinter dem Tresen und liest. Nach Geschäftsschluß schaltet er den Anrufbeantworter ein: Wenn jemand ein bestimmtes Buch sucht oder möchte, daß Spurrier sich um einen vergriffenen Titel bemüht, kann er seinen Wunsch auf Band sprechen.«
»Es ist doch seltsam, daß ein solcher Eigenbrötler ein Geschäft eröffnet, das ihn zu ständigem Umgang mit Menschen zwingt«, fand ich.
»Im Gegenteil«, widersprach Benton. »So kann er die Leute beobachten, ohne in privaten Kontakt mit ihnen treten zu müssen. Viele Studenten der William-and-Mary-Universität sind Stammkunden bei ihm - hauptsächlich, weil er neben populärer Belletristik und Sachbüchern ausgefallene antiquarische Bücher führt. Er bietet auch eine große Auswahl an Spionageromanen und Militärmagazinen an, die Kundschaft von den nahe gelegenen Army-Basen bringen. Wenn er der Killer ist, dann dürften die jungen Leute, die in seinen Laden kommen, ihn gleichzeitig faszinieren und Minderwertigkeitskomplexe, Frustration und Haß in ihm wecken, weil sie all das verkörpern, was ihm versagt ist.«
»Ich würde gern wissen, ob man sich bei der Navy über ihn lustig gemacht hat«, warf ich ein.
»Soviel ich gehört habe, war das der Fall - wenigstens bis zu einem gewissen Grad. Die ihm Gleichgestellten betrachteten ihn als Schwächling, als Verlierer, seine Vorgesetzten charakterisierten ihn als arrogant und indifferent. Allerdings gab es nie ein disziplinäres Problem mit ihm. Spurrier hatte keinen Erfolg bei Frauen. Er blieb für sich - teils, weil er es so wollte, teils, weil sich niemand für ihn interessierte.«
»Vielleicht hatte er bei der Navy das Gefühl, ein richtiger Mann zu sein, meinte Marino. »Und dann stirbt sein Vater, und Spurrier muß sich um seine kranke Mutter kümmern. Aus seiner Sicht hat man ihn um die Verwirklichung seines Lebenstraums gebracht.«
»Das ist gut möglich«, stimmte Wesley zu. »Auf jeden Fall gibt unser Mörder anderen die Schuld für seine Probleme. Er übernimmt keine Eigenverantwortung, hat den Eindruck, sein Leben werde von außen kontrolliert - und deshalb wurde das Bestreben, Macht über andere zu gewinnen, zu einer Besessenheit bei ihm.«
»Sieht so aus, als führe er einen Rachefeldzug«, sagte Marino.
« Der Killer steht unter dem Zwang, seine Überlegenheit demonstrieren zu müssen«, fuhr Wesley fort. »Wenn militärische Aspekte in seinen Phantasien eine Rolle spielen - und ich bin überzeugt, daß
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