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Das fünfte Paar

Das fünfte Paar

Titel: Das fünfte Paar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Verfügungsgewalt über die Toten.
    »Im Kofferraum meines Wagens befinden sich Bahren und Leichensäcke.« Ich kramte meinen Autoschlüssel aus der Tasche. »Wenn Sie die von jemandem holen lassen, fahre ich die beiden hier nachher gleich weg.«
    »In Ordnung - ich werde mich darum kümmern.«
    »Danke.«
    Er entfernte sich. Benton Wesley trat zu mir.
    »Wie haben Sie es erfahren?« Meine Frage war vieldeutig, doch er verstand, was ich meinte.
    »Mortell rief mich in Quantico an. Ich habe mich sofort in Marsch gesetzt.« Er musterte die Leichen. Sein kantiges, von der tropfenden Kapuze halb verdecktes Gesicht wirkte gestreßt. »Haben Sie einen Hinweis auf die Todesursache finden können?«
    »Im Augenblick kann ich nur mit Sicherheit sagen, daß ihnen nicht der Schädel eingeschlagen und sie nicht in den Kopf geschossen wurden.«
    Sein beredtes Schweigen machte mich noch grimmiger. Ich war gerade dabei, eine Plastikfolie auseinanderzufalten, als sich Marino, die Hände tief in die Manteltaschen vergraben und die Schultern nach vom gezogen, um sich gegen die Kälte und den Regen zu schützen, zu uns gesellte.
    »Sie werden sich eine Lungenentzündung holen«, sagte Wesley mit einem Blick auf Marinos tropfnasse Haare. »Ist das Police Department von Richmond zu arm, um euch Jungs Hüte zu kaufen?«
    »Wir haben Glück, daß wir das Benzin bezahlt kriegen und eine Waffe gestellt bekommen«, antwortete Marino giftig. »Die Strolche im "Spring Street" sind wesentlich besser dran als wir.«
    »Spring Street« war das Staatsgefängnis. Tatsächlich kostete der Unterhalt für einige der Insassen mehr, als viele Polizeibeamte dafür bezahlt bekamen, daß sie sie dorthin brachten. Dieses Mißverhältnis war eines von Marinos Lieblingsthemen.
    »Wie ich sehe, hat man Sie aus Quantico zu Hilfe geholt«, stellte er fest. »Ist Ihr Glückstag, was?«
    »Als ich informiert wurde, fragte ich gleich, ob Sie schon benachrichtigt worden seien«, ging Wesley in die Defensive. »Ja - Sie haben sich schließlich tatsächlich dazu herabgelassen.«
    »Morrell sagte mir, daß er noch nie ein VICAP-Formular ausgefüllt habe. Vielleicht können Sie ihm dabei helfen.«
    Marino starrte auf die Leichen hinunter. Seine Kiefermuskeln spielten.
    »Wir müssen das hier sofort in den Computer geben«, fuhr Wesley fort.
    Ich klinkte mich aus der Unterhaltung aus, breitete die Folie neben den weiblichen Überresten aus und drehte sie auf den Rücken. Die Gelenke und Bänder waren noch intakt - die Leiche fiel nicht auseinander. In einem Klima wie dem Virginias muß ein Körper etwa ein Jahr den Elementen ausgesetzt sein, bis er völlig skelettiert ist und in einzelne Knochen zerfällt. Muskelgewebe, Sehnen und Knorpel sind sehr haltbar. Sie war zierlich. Das Bild der hübschen jungen Sportlerin auf dem Schwebebalken erschien vor meinen Augen. Sie trug eine Art Pullover - vielleicht ein Sweatshirt -, und der Reißverschluß ihrer Jeans war geschlossen. Ich entfaltete die zweite Folie und verfuhr auf dieselbe Weise mit dem jungen Mann. In Verwesung übergegangene Leichen umzudrehen ist, als hebe man einen Stein auf. Man weiß nie, was man darunter findet - abgesehen davon, daß man mit einiger Sicherheit irgendwelche Insekten erwarten darf. Meine Haut kribbelte, als mehrere aufgestörte Spinnen davonhasteten und unter dem Laub verschwanden.
    Plötzlich wurde mir bewußt, daß Wesley und Marino gegangen waren. Ich begann im Schlamm nach Fingernägeln, Knochensplittern und Zähnen zu tasten. Wie ich bemerkt hatte, fehlten in einem der Unterkiefer mindestens zwei Zähne. Ich ging davon aus, daß sie irgendwo in der Nähe der Stelle zu finden sein mußten, an der der Schädel gelegen hatte. Nach etwa einer Viertelstunde zog ich Erfolgsbilanz: ein Zahn, ein durchsichtiger, kleiner Knopf und zwei Zigarettenstummel. Es hatten an jedem Fundort Stummel gelegen. Merkwürdigerweise wies keiner einen Firmenstempel oder Markennamen auf.
    Als Morrell zurückkam, machte ich ihn darauf aufmerksam.
    »Ich bin noch nie an einem Fundort gewesen, wo keine Zigarettenstummel herumlagen«, antwortete er uninteressiert.
    Das werden wohl noch nicht viele gewesen sein, dachte ich bissig. »Es sieht aus, als sei das Papier um die Filter entfernt worden«, erklärte ich, und als ihm diese Eröffnung keinen Kommentar entlockte, wandte ich mich wieder meiner Schlammwühlerei zu.
    Als wir schließlich zu unseren Wagen zurückkehrten, wurde es bereits dunkel. Es war eine gespenstische

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