Das fünfte Paar
sie ein Buch schreiben würde!«
»Daß Sie sich hintergangen fühlen, heißt nicht, daß Sie tatsächlich hintergangen worden sind«, gab Anna zu bedenken.« Haben Sie Geduld - es wird sich alles klären. Und was die Tatsache betrifft, daß Mark Ihnen diese Meldung geschickt hat - möglicherweise ist das seine Art, Ihnen die Hand zu reichen.«
»Ich überlege, ob ich mir einen Anwalt nehmen soll. Schließlich habe ich keine Ahnung, was in Abbys Buch stehen wird - vielleicht kann ich mich irgendwie absichern.«
»Sie hat Ihnen doch versichert, Ihre Gespräche würden vertraulich behandelt. Hat sie Sie jemals zuvor belogen?«
»Nein.«
»Dann sollten Sie ihr eine Chance geben - eine Gelegenheit, Ihnen das Ganze zu erklären. Außerdem«, fügte sie hinzu, »ist es mir ein Rätsel, was überhaupt in dem Buch stehen soll: Es sind keine Festnahmen erfolgt, und es gibt keine Hinweise darauf, was mit dem Pärchen passiert ist. Die beiden müßten doch erst mal auftauchen.«
Zwei Wochen später war es soweit.
Am zwanzigsten Januar war ich im Regierungsgebäude, weil ein Erlaß, der das Forensic Science Bureau autorisierte, eine DNS-Datenbank einzurichten, der General Assembly zur Genehmigung vorgelegt wurde. Ich kam gerade mit einer Tasse Kaffee aus der Snackbar, als ich Pat Harvey entdeckte. Sie trug ein elegantes Marineblaues Kaschmirkostüm, hatte eine schmale Tasche unter dem Arm und stand mit einigen Abgeordneten in der Halle. Als ihr Blick zufällig in meine Richtung wanderte, entschuldigte sie sich bei ihren Gesprächspartnem und kam auf mich zu.
»Dr. Scarpetta!«
Wir gaben uns die Hand. Aus der Nähe sah sie abgespannt und trotz Make-up blaß aus. Ich wunderte mich, daß sie nicht in Washington war, und sie beantwortete meine unausgesprochene Frage: »Ich wurde um Befürwortung der Senate Bill 31 gebeten. Wir sind also wohl beide aus demselben Grund hier.« Ein schwaches Lächeln.
»Wir sind dankbar für jede Unterstützung.«
»Ich glaube nicht, daß Sie sich Sorgen machen müssen«, meinte sie.
Wahrscheinlich hatte sie recht: Eine so mächtige Verbündete und die dementsprechende Publicity würden die Entscheidung des Komitees sicherlich erheblich beeinflussen. Nach einem kurzen Schweigen, während dessen wir unsere Blicke ziellos schweifen ließen, fragte ich leise: »Wie geht es Ihnen?«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie drängte sie energisch zurück.
»Es tut mir leid - ich sehe da jemanden, mit dem ich sprechen muß. Es hat mich gefreut, Sie wiederzusehen.«
Pat Harvey war kaum außer Hörweite, als mein Piepser Alarm schlug. Eine Minute später war ich am Telefon.
»Marino ist schon unterwegs hierher«, erklärte meine Sekretärin.
»Ich komme sofort. Richten Sie bitte meine Tasche her, Rose. Vergewissern Sie sich, daß alles da ist: Kamera, Blitzlicht, Taschenlampe, Handschuhe - na, Sie wissen schon.«
»Mach' ich.«
Meine hohen Absätze und den Regen verfluchend, eilte ich die Treppe hinunter und die Govemor Street entlang. Der Wind zerrte an meinem Schirm. Vor meinen Augen stand Pat Harveys tränenverhangener Blick, der für einen Moment ihren Schmerz verraten hatte.
5
Der Geruch schlug uns schon von weitem entgegen. Schwere Tropfen klatschten laut auf tote Blätter, der Himmel war so dunkel wie bei Einbruch der Dämmerung, kahle Bäume ragten wie Skelette in die kalte Luft.
»Grundgütiger!« murmelte Marino, als er über einen umgestürzten Baum stieg. »Was für ein abenteuerlicher Gestank! Unverwechselbar.«
»Er wird noch schlimmer«, verhieß Jay Morrell, der auf uns gewartet hatte, um uns in die Wildnis zu lotsen. Schwarzer Schlamm saugte sich an unseren Schuhen fest und gab sie nur widerstrebend und mit widerlichem Schmatzen für den nächsten Schritt frei. Glücklicherweise hatte ich für Ausflüge wie diesen immer einen Regenmantel mit Kapuze und schwere Gummistie fel im Kofferraum. Meine dicken Lederhandschuhe hatte ich allerdings nicht finden können, und es war unmöglich, sich mit den Händen in den Taschen den Weg durch den Wald zu bahnen.
Bisher wußte ich nur, daß mich zwei Leichen erwarteten, vermutlich eine männliche und eine weibliche - gut fünf Kilometer von dem Rastplatz entfernt, auf dem Deborah Harveys Jeep damals gefunden worden war.
Vielleicht sind sie es ja gar nicht, sagte ich mir auf jedem Meter, den ich meinem Ziel näher kam. Doch als wir den Fundort erreichten, wurden meine halbherzigen Hoffnungen zunichte gemacht: Benton Wesley sprach
Weitere Kostenlose Bücher