Das fünfte Verfahren
auch große Lust, einen
kleinen Ausflug in die nichtbesetzte Zone zu machen“, erklärte ich. „Da könnte
ich etwas ruhiger schlafen. Hier wird man versuchen, mir das Leben
schwerzumachen. Und mich auf Eis zu legen, sozusagen unter die Erde, das ist
nicht meine Stärke. Nestor Burma braucht Bewegung. Nur... dazu müßte ich die
Demarkationslinie überqueren. Und ich hab so das dumme Gefühl, daß mein Name
beim Wachpersonal ziemlich populär ist. Ich brauche falsche Papiere. Als
Kommissar sind Sie besser als irgend jemand anders geeignet, mir welche zu
besorgen.“
Seine Schnurrbarthaare verrieten, daß
mein Vorschlag ihm so gut gefiel wie die Guillotine einem Todeskandidaten.
„Hören Sie“, fügte ich hinzu, um ihn
zu überreden, „mit einem Mitarbeiter wie mir ist der Fall Matitch so gut wie gelöst.
Sie kennen mich doch.“ Seine Lippen hauchten ein „Leider“, was sein Blick
bestätigte. „Ich will Ihnen hier und jetzt einen weiteren Beweis meines Könnens
liefern. Es betrifft das Abzeichen mit dem Hakenkreuz. Ohne es je zuvor gesehen
zu haben, wußte ich sofort, daß es zu irgendeinem Geheimdienst gehören mußte.
Bei der Kontrolle hat sich Matitch gegenüber dem Offizier als ein Nazi-Flic
ausgewiesen.“
„Woher wollen Sie das wissen?“ fauchte
Faroux, plötzlich seltsam mißtrauisch.
„Unsere Ähnlichkeit in Kleidung und
Aussehen — zu der Zeit trug ich noch den Schnäuzer — ließ den Offizier die
Worte ausstoßen Polizist und Bruder.“
„Verstehen Sie deutsch?“
„Einzelne Wörter. Und Sie?“
„Natürlich nicht!“ zischte Faroux
beleidigt und verzog angewidert das Gesicht.
„Heute morgen ist mir’s wieder
eingefallen“, fuhr ich fort. „Sofort wurde mir alles klar.“
Faroux runzelte die Stirn. Nach einer
nachdenklichen Pause brummte er mißmutig:
„Tja, das wäre eine Erklärung.
Burma,...“
Er ließ durchblicken, daß ich ihn zu
Unrecht für einen Abonnenten des Petit Parisien hielt. Ich wußte nicht,
was er gegen die Leser dieses Käseblättchens hatte. Ich widersprach ihm.
Daraufhin redete der Kommissar mich mit irgendeinem Zeug voll. Offenbar
bedauerte er, mir soviel verraten zu haben.
Um fünf Uhr, als die Ausgangssperre
beendet war, verließ ich ihn. Mir waren eine Menge Ideen in bezug auf Sdenko
Matitch gekommen. Aber da Florimond sich so wenig hilfsbereit zeigte, brauchte
ich sie ihm nicht unbedingt auf die Nase zu binden.
* * *
Im Morgennebel bekam ich kalte Füße,
so daß ich die Fahrt in der Metro entsprechend zu schätzen wußte. Im warmen
Untergrund blätterte ich fast alle Tageszeitungen durch. Roosevelt und ich
waren die Stars, meine Wenigkeit lag leicht in Führung, weil mich niemand eine
„verräterische Kanaille“ nannte. Großer Privatdetektiv hier, großer
Privatdetektiv dort. Die Leute, die mich am liebsten hinter Schloß und Riegel
gesehen hätten, verstanden ihr Handwerk. Die Nachrufe konnten sich wirklich
sehen lassen. Jede Zeitung veröffentlichte mein Gesicht, dem der Retuscheur der
Gestapo einen kräftigen Schnäuzer verpaßt hatte. Auf dem Foto sah ich Sdenko
Matitch ähnlicher als die Leiche. Der richtige Kopf für die Titelgeschichte!
DER BERÜHMTE PRIVATDETEKTIV NESTOR
BURMA
der Mann, der das Geheimnis k. o.
geschlagen hat
FEIGE ERMORDET
So lamentierten die strammstehenden
Schreiberlinge auf Kommando. Dieses schreckliche Verbrechen gehe auf das Konto
von Ganoven, der Gaullisten, des Geheimdienstes, der Regierungsmafia, ja nach Wahl.
Es geht doch nichts über verschiedenartige Interpretationen, wenn es darum
geht, einem beliebigen Ereignis Glaubwürdigkeit zu verleihen!
Nachdem ich herzlich gelacht hatte,
besuchte ich einen Maskenbildner vom Film, den ich aus meiner Zeit als Schauspieler
kannte. Boris hatte noch keine Zeitung gelesen. Ich teilte ihm mit, daß ich tot
sei. Da ich wirklich todmüde war, klang die Nachricht gar nicht so übertrieben.
Der Russe war ganz begeistert, als ich ihn bat, ein wenig an meiner
Physiognomie herumzubasteln. Er stellte mir hundert Fragen, denen ich
konsequent auswich. Im übrigen leistete er hervorragende Arbeit. Auf einen
Schnäuzer brauchte er nicht zurückzugreifen; schließlich legte ich keinen Wert
darauf, dem Foto in den Zeitungen zu gleichen. Für seine Mühe und sein
Stillschweigen gab ich ihm einen Tausender. Der Schein war mit einem
transparenten Streifen zusammengeklebt. Boris beobachtete ihn aufmerksam,
murmelte etwas von „diesen Scheinen, bei denen man vorsichtig
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