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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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mir
gekommen. Er ahnte, daß es ein aufregendes Schauspiel geben würde, und wollte
sich nichts entgehen lassen. Eben hatte er mir erzählt, er sei ein
leidenschaftlicher Kinogänger. Seit drei Wochen habe er sich keinen Film mehr
ansehen können, so fruchtbar war die Arbeit von Vielfrucht. Jetzt wollte
er das Versäumte nachholen. Und er wurde bestens bedient.
    Maillard hatte mir — so
entgegenkommend wie unfreiwillig — den wirklichen Wohnsitz meines ehemaligen
Klienten offenbart. Nach diesem Freundschaftsdienst entfernte er sich samt
Fahrrad, das er über den verdreckten Seitenweg neben sich herschob.
    Zusammen mit dem sensationshungrigen
Rotschopf wollte ich mir das geheimnisvolle Haus aus der Nähe ansehen. Die Alte
war wieder in ihre Wohnung gegangen. Mit oder ohne Minou, das wußte ich nicht.
Und es passierte, was immer passiert, wenn man sehnlichst wünscht, daß
verlassene Orte es auch bleiben. Der klassische Fall, wie in der Metro: In der
ersten Klasse kann man außergewöhnlich hübsche Frauen treffen, die einen
außergewöhnlich unzüchtigen Eindruck machen. Nun, jedesmal, wenn ich mir eine
Fahrkarte „Erster Klasse“ leiste, kann ich noch so lange hin- und herfahren,
nie sitzt mir eine gegenüber. Immer nur alte Schachteln oder Büromakler. So ist
das Leben.
    Wir wollten uns gerade aus dem
Schatten des Bretterzauns lösen, als von irgendwoher ein zweiter Radfahrer
auftauchte. Mutiger als Maillard, saß er auf seinem Drahtesel und kämpfte sich
durch den Matsch. Wir geduldeten uns noch ein wenig, für den Fall, daß eine
Vierergruppe direkt vor der Zaunlücke Karten spielen wollte. Doch da alles ruhig
blieb, näherten wir uns dem Haus von Robert Beaucher.
    Von außen sah die Hütte aus, als
bestünde sie aus nur vier Zimmern. Zwei im Erdgeschoß und zwei in der ersten
Etage. Es gab weder einen Dachboden noch eine Garage oder einen Garten, außer
ein paar Sträuchern zwischen Fassade und Gitterzaun, dessen Törchen nicht
abgeschlossen war. Ich stieß es auf. Eine mühselige Angelegenheit. Die
Türangeln schrien nach einem Tropfen Öl. Ich konnte beim besten Willen das
gräßliche Quietschen nicht verhindern. Es gab einfach keine Möglichkeit, das
Haus unauffällig zu betreten. Glücklicherweise wohnte im Umkreis von einem
Kilometer außer dem tauben Mütterchen kein menschliches Wesen. Ich nahm
Maillards Botschaft aus dem Briefkasten. Im Schein meiner Taschenlampe untersuchte
ich die ungewöhnlich schrille Türglocke. Ein riesiges Ding, ganz neu. Im
Gegensatz zu der verrosteten Kette.
    Die eigentliche Haustür war mit mehr
als einem Riegel gesichert. Ich knackte das Schloß unter dem interessierten
Blick des Rothaarigen, und wir betraten das Haus. Ich tastete im Dunkeln nach
dem Lichtschalter, fand und betätigte ihn. Eine schwache Birne erhellte einen
schmalen Flur, an dessen Ende eine Treppe sichtbar wurde. Wir säuberten unsere
verdreckten Schuhe auf einer Fußmatte. Zwei Türen gingen vom Flur ab. Eine
führte in die Küche, die andere in einen relativ großen Raum, eine Kombination
aus Eßzimmer und Salon.
    „Nein!“ rief mein Begleiter, als wir
dort Licht gemacht hatten.
    Dabei war es doch gar nicht so
erstaunlich und gut zu verstehen, daß wir Monsieur Robert
Beaucher-Barnabé-Bernard hier antrafen! Und er selbst hätte sich über seinen
eigenen Zustand bestimmt nicht gewundert. Er lag auf dem Boden und wartete auf
die Einsargung, schon ganz grün im Gesicht vor Zorn, weil die Herren von Pietät
und Takt so lange auf sich warten ließen.
     
    * * *
     
    Auch für einen Toten war er verdammt
tot. Und man roch es bereits.
    Weder Messer noch Kugel hatten ihn
niedergestreckt. Sah so aus, als wär ihm plötzlich übel geworden und als hätte er
sich an dem Marmor des Kamins festhalten wollen, dann aber doch das
Gleichgewicht verloren. Er war vollständig bekleidet: Morgenmantel, Hose,
Strümpfe und Hausschuhe. Das Feuer brannte schon lange nicht mehr, hatte jedoch
offensichtlich gebrannt, als er, wenn man das so sagen kann, seinen Fuß in den
Kamin gesetzt hatte. Von den Pantoffeln und den Strümpfen war nicht mehr viel
übrig. Auch die Füße hatten ihren Teil abgekriegt. Ebenso die Hose. Ein Glück,
daß sich die Flammen nicht weiter ausgebreitet und das ganze Haus in Brand
gesetzt hatten. Ja, ein verdammtes Glück... und ein Riesenzufall.
    Robert Beaucher hatte wohl nicht sehr
unter der Hitze gelitten. Er mußte schon vorher tot gewesen sein. Anders war es
nicht zu erklären, daß er seine

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