Das fünfte Verfahren
diesem
Haus. Wunderbarerweise lag kaum Staub auf den Möbeln. Ein eingefleischter
Junggeselle, dieser Robert Beaucher, der sich als Industrieller ausgab, in
Wirklichkeit aber der Werbefachmann Bernard war. Eins stand jedoch fest: Er war
genausowenig verheiratet gewesen, wie ich Erzbischof oder Mister Universum bin.
An diesem Punkt meiner Überlegungen stieß mein Begleiter einen Schreckensschrei
aus:
„Wir müssen uns beeilen! Es ist gleich
neun, und auch heute fängt die Ausgangssperre früher an, wegen der Sache im
Alten Hafen. Besser, wir kriegen keinen Ärger mit den Patrouillen. Ich mag es
einfach nicht, wenn man mich nach meinen Papieren fragt.“
„Ich auch nicht“, sagte ich. „Los,
verschwinden wir.“
In dem Haus hatten wir sowieso nichts
mehr zu suchen und noch weniger zu finden. Beim Hinausgehen entdeckte ich an
einem Nagel neben der Tür einen Schlüsselbund. Ein Schlüssel paßte ins
Haustürschloß, der zweite in die Verriegelung gleich darunter, und der dritte
war für das Törchen draußen bestimmt. Ich sah auch unter der Fußmatte nach, die
wir mit unseren Schuhen eingesaut hatten.
Mein Versuch, das Gartentörchen zu
öffnen, ohne die Glocke in Schwingung zu versetzen, scheiterte. Sie war so
angebracht worden, daß sie bei der geringsten Bewegung ihr klingendes Spiel
spielte. Doch wie vorher alarmierte das Gebimmel niemanden.
Es regnete. Noch bevor wir den
Lieferwagen erreichten, waren wir klatschnaß. Die Straße lag jetzt weniger
verlassen da. Eine lange Reihe von Militärfahrzeugen rollte in Richtung
Innenstadt.
„Wir sitzen in der Falle“, knurrte der
Rothaarige neben mir. „Die Jungs können wir nicht überholen. Und solche
Karawanen können lang sein, das sag ich Ihnen.“
Sein Pessimismus war unberechtigt.
Kaum hatte er seinen Satz beendet, als auch schon das letzte Fahrzeug an uns
vorbeifuhr. In respektvollem Abstand folgten wir der Wehrmacht. Der Regen wurde
stärker.
„Dauert das schon lange, dieses
Sauwetter?“ fragte ich. „Ich war am 8. hier. Da war es zwar kühl, aber
trocken.“
„Am 13. hat’s angefangen“, informierte
mich der Neu-Marseiller. „Am Freitag, dem 13....“
Er lachte.
„Man kann den Teutonen die Schuld
geben oder dem lieben Gott. Hängt ganz von dem politisch-philosophischen
Standpunkt ab.“
Klatsch und Tratsch unter Tänzerinnen
Rouget saß vor den Resten einer
Mahlzeit, rauchte und plauderte mit einer netten Brünetten, als wir in der
Firma Vielfrucht auftauchten. Rauchen tat er mit großer Nervosität,
plaudern mit noch größerer Zerstreutheit. Er hatte sich Sorgen gemacht. Als er
uns erblickte, stieß er einen langen Seufzer der Erleichterung aus. Sein
Gesicht heiterte sich auf, und er fand auch wieder zu seinem Humor zurück.
„Ich möchte dir Olga vorstellen“,
sagte er und zeigte auf seine Gesprächspartnerin. „Das ist die Tänzerin, von
der du nichts wissen wolltest.“
„Wie ungalant!“ rief die Brünette
kokett.
Der rothaarige Fahrer stieß einen
Schrei aus:
„Ha! Jetzt weiß ich, wo ich ihn
gesehen habe!“
„Wen?“ fragte Rouget.
„Die Leiche.“
„Welche Leiche?“
„Die von vorhin.“
„Ich bin mit dem jungen Mann zum
Leichenschauhaus gefahren“, erklärte ich. „Ich fürchte, das ist ihm nicht gut
bekommen.“
Rouget stand auf.
„Hör mal“, sagte er vorwurfsvoll, „wir
haben hier in aller Ruhe unsere Früchte geliert, und dann kommen zuerst die
Deutschen und dann Nestor Burma und fallen uns auf die Nerven. Dazu gießt es
seit vier Tagen wie aus Kannen. Fehlt nur noch ‘ne Bombardierung! Ich möchte
wissen, was wir dem lieben Gott getan haben!“
„Ist ja schon gut“, versuchte ich ihn
zu beruhigen, „reg dich nicht künstlich auf. Ich erzähl dir sofort die volle
Wahrheit. Hatte sowieso die Absicht.“
„Wirklich?“ Er lachte glucksend. „Es
heißt, der Krieg verändert den Menschen. Scheint was dran zu sein. Also, schieß
los!“
Er setzte sich wieder. Ich nahm
ebenfalls am Tisch Platz und schielte mißtrauisch zu Olga hinüber. Der
Rothaarige fing meinen Blick auf.
„Sie können ruhig vor ihr sprechen“,
sagte er. „Einweihen müssen Sie sie ohnehin. Sie kannte Bernard.“
„Sie kann... te...? Also wirklich!
Sieh an, sieh an... Die Vielfrucht hat’s in sich! Hab den Eindruck, daß
ich einen guten Riecher hatte, als ich beschloß, hierherzukommen. Was, Jungs?
Hier findet man alles, was man braucht. Gibt’s vielleicht auch was zu trinken
und zu essen?“
„Gibt es“,
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