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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Füße nicht dem Spiel der Flammen entrissen
hatte.
    Das Fenster war geschlossen, die Läden
zugezogen. Auf dem Tisch stand eine Flasche mit Alkohol, die zu drei Vierteln
geleert war.
    Unter dem Morgenmantel trug der Tote
eine Jacke. Ich durchwühlte die Taschen, fand aber nur den üblichen,
uninteressanten Kram. Nicht mal der Inhalt seiner Brieftasche klärte mich über
die wirkliche Identität meines ehemaligen Klienten auf. Der
Personalausweis war auf den Namen Robert Bernard ausgestellt, vierzig Jahre,
geboren im Departement Eure. Beruf: Werbefachmann. Ideal für die Ausübung
irgendeines unauffälligen Berufs. In einer Tasche des Morgenmantels fand ich,
eingewickelt in ein Blatt Papier, einen Stoffrest. Ich faltete den Fetzen
auseinander und entdeckte ein weiteres Stück Stoff: gelb, in Form eines
sechszackigen Sterns, und in der Mitte das Wort Jude, mit einem dicken
Bleistift in pseudo-hebräischen Buchstaben geschrieben. Eine Nachahmung des
Davidsterns, den zu tragen in der besetzten Zone für alle Juden obligatorisch
war. Auf dem Blatt Papier stand in großen Zügen: Du dreckiger Jud, die Nazis
kommen! Du wirst diesen hübschen Schmuck tragen. Eine Unterschrift fehlte.
    Diese kurze Hiobsbotschaft erinnerte
mich an die Nachricht, die Maillard hinterlassen hatte. Ich holte den Zettel
hervor und las: Ihr Trottel ahnt was. War bei mir. Er sucht Sie.
    Die beiden Briefchen hatten weder
Schrift noch Geist gemeinsam. Nur daß auch Maillard seine Botschaft anonym
verfaßt hatte. Denn als Unterschrift konnte man den Phantasienamen Luchsauge, mit dem er unterzeichnet hatte, nicht bezeichnen. Beide Zettel wanderten in
meine Tasche.
    „Sagen Sie“, wandte ich mich an den
Rothaarigen, „hat es viele Selbstmorde von Juden gegeben, als man von dem
Einmarsch der Deutschen erfuhr?“
    Der Kinoliebhaber riß sich von dem
Anblick der Leiche los, um mir zu antworten. Ja, es habe einige gegeben.
    „Hat sich der hier.. fügte er hinzu
und zeigte auf den Toten.
    „Ja. Die Autopsie wird ergeben, daß er
an einer Vergiftung gestorben ist, wahrscheinlich Zyanid. Es ist nicht leicht zu
beschaffen, aber alle Welt weiß ja, daß Juden erfinderisch sind. Das ist doch
auch Ihre Meinung, oder?“
    „Das meinen doch alle“, stimmte er mir
zu.
    „Ja, das meinen alle. So was
vereinfacht die Dinge ungemein. Der hier war bestimmt noch erfinderischer als seine
Glaubensgenossen. Hat es sogar geschafft, seine Zugehörigkeit zum auserwählten
Volk zu verheimlichen. Der Zusatz Jude fehlt in seinem Personalausweis.
Um so mehr fühlte er sich bedroht, jetzt, da die Deutschen sozusagen vor der
Tür standen und er sich von einem Unbekannten entlarvt sah. Zu Tode hat er sich
allerdings nicht erschrocken. Er mußte sich Mut antrinken und dann die bittere
Pille schlucken. Im Todeskampf hat er sich auf dem Boden herumgewälzt und ist
mit den Füßen im Kamin gelandet. Doch bevor er sich die Hachsen verbrannt hat,
hatte der Tod sein Werk bereits vollendet... Aber sagen Sie mal, was starren
Sie denn so auf die Leiche? Wenn der Mann Ihnen gefällt, dann kommen Sie leider
zu spät...“
    Er nahm seine Mütze ab und kratzte
seinen flammend roten Schopf.
    „Also... Ich glaube, ich kenne den
Kerl.“
    „Woher?“
    „Das frage ich mich auch grade. Na ja,
vielleicht täusche ich mich. Aber ich glaub wirklich, daß ich ihn schon mal
gesehen habe.“
    „Wenn’s Ihnen wieder einfällt, sagen
Sie mir bitte Bescheid. Nun, was halten Sie von meiner kleinen Rekonstruktion
des Dramas?“
    Er lachte:
    „Man könnte meinen, einen Flic
quatschen zu hören.“
    „Meinen Sie einen richtigen Flic? Oder
einen privaten wie mich?“
    „Einen richtigen Flic, ja.“
    „Tja, mein Lieber, Sie wissen gar
nicht, welch eine Freude Sie mir damit bereiten! Quatschen wie ein richtiger
Flic! Haargenau! Und genau das ist des Pudels Kern.“
    „Oh, hören Sie auf!“ stöhnte er. „Ich
mag keine Polypen. Dann schon lieber Sherlock Holmes. Ist weniger langweilig
für den Zuhörer.“
    „Schon gut“, sagte ich. „Auf zur
Hausdurchsuchung!“ Unsere Mühe war im Erdgeschoß für die Katz. Oder besser
gesagt, für den Kater Minou. Wir gingen nach oben. Eins der beiden Zimmer diente
als Rumpelkammer, das andere als Schlafraum. In der Rumpelkammer befanden sich
eine kleine Werkbank sowie verschiedene Werkzeuge, die auf die Aktivitäten
eines Hobbyschlossers schließen ließen. Eine allgemeine Unordnung war die
unumschränkte Herrscherin. Das war aber auch das einzig Weibliche in

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