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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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speziellen Ruf
hatte. Der Auftrag, um den es ging, war nämlich etwas ganz Spezielles. Nicht
wenige meiner nicht ganz so waghalsigen Kollegen hätten ihn abgelehnt. Zweitens
befand sich Burma in Paris. Bei der verdammten Demarkationslinie, die
Frankreich in zwei Teile teilte, bedeutete das: beinahe in einem anderen Land.
Nach getaner Arbeit würde er wieder nach Hause fahren. Von dem, was in
Marseille passierte, würde er nichts erfahren. Bernards Überlegung war gar
nicht so dumm. Und vielleicht hatte er weder die Zeit noch die Wahl, sich etwas
anderes auszudenken. Eins jedenfalls bewies sein Anruf bei mir: Bernard war
allein in Marseille. Außer Jackie Lamour und ihrem gemeinsamen Freund André
hatte er niemand, der ihm hätte helfen können. Sicher, Maillard hatte ihm seine
Wohnung zur Verfügung gestellt, damit er mich dort empfangen konnte. Aber zu
mehr als zum Wohnungsleihen schien Luchsauge mir nicht zu taugen.
Trotzdem nahm ich mir vor, diesem zweitklassigen Lügenbaron einen morgendlichen
Besuch abzustatten. Seine geheimnisvolle Beziehung zu Bernard verdiente meine
besondere Aufmerksamkeit.
    Beaucher-Barnabé-Bernard — der Mann
mit den drei B’s — beauftragte mich, die Briefe zu klauen.
    Die Briefe!
    Was enthielten sie denn nun eigentlich
genau? Selbstverständlich betrachtete ich sie schon längst nicht mehr als
banale Liebesbriefe. Hinter den feurig flammenden Erklärungen versteckte sich
ein naher Verwandter des Dynamits, nach den Verwüstungen zu urteilen, die sie
bereits angerichtet hatten. Ich konnte gar nicht begreifen, warum mir diese
Idee nicht viel früher gekommen war. Die verriegelten Fensterläden in der Villa
am Cap Croisette hätten mir zu denken geben müssen. Auch die kurz zuvor
angebrachten Sicherheitsriegel, die ich nur mit dem Nachschlüssel hatte öffnen
können. Ohne sie — von Dreifach-B persönlich angefertigt und ausgehändigt —
hätte ich gar nicht in Jackie Lamours Behausung gelangen können. Warum solche
Vorsichtsmaßnahmen? Für ein paar Liebesbriefe, mit denen man ein wenig
erpressen konnte? Ich hatte sie gelesen. Jetzt versuchte ich, mir den Inhalt
ins Gedächtnis zurückzurufen. Ohne Erfolg. Ich gab’s auf, das war das Klügste,
was ich tun konnte. Mit den freigewordenen Kapazitäten klopfte ich eine
bestimmte Hypothese auf Tatsachen hin ab. Und dann dachte ich — vielleicht
wegen der Beschäftigung mit den angeblichen Liebesbriefen — an Hélène. Ich nahm
mir vor, sie gleich morgen mit einer Interzonenkarte über mein Schicksal zu
beruhigen.
    Weiter im Text.
    Nachdem ich dem dreifachen B die
Briefe ausgehändigt hatte, stieg ich in den Zug nach Paris. In diesem Zug saß
auch der Kroate Sdenko Matitch, der mir mehr oder weniger in bezug auf Kleidung
und Aussehen ähnelte. Die Reise endete für ihn tödlich. Mir kam eine seltsame
Idee, und mein Instinkt verriet mir, daß es eine gute Idee war. Zunächst hatte
ich angenommen, BBB hätte mir einen Killer hinterhergeschickt — sozusagen als
zusätzliche Vorsichtsmaßnahme — und dieser Killer hätte sich im Zielobjekt geirrt.
Und wenn nun der Kroate nicht mit mir, sondern ich mit ihm verwechselt worden
war? Gehen wir einmal davon aus, daß Bernard und Jackie mit Matitch in
Verbindung standen. Das vereinfachte den Gedankengang. So ließe sich die
Heiterkeit des angeblichen Briefeschreibers bei meinem Anblick erklären. Auch
daß die Tänzerin den Kroaten für den Einbrecher gehalten hatte, wäre dann
verständlich. Sie hatte zuwenig Zeit gehabt, um den Unterschied zwischen
Matitch und mir festzustellen. Bedenken wir, daß ich meinen Hut tief in die
Stirn gezogen hatte. Ja, ja, das paßte alles gut zusammen. Als Jackie wieder zu
sich kam, war sie außer sich vor Wut. Ihr erster Gedanke galt den Briefen. Sie
rannte sofort zu dem Versteck und entdeckte den Diebstahl. Dafür hatte ich keinerlei
Beweise, aber ich fühlte es. Sie ließ sich von dem vorgetäuschten Einbruch
nicht täuschen und beschloß, sich zu rächen. Hatte sie den Kroaten auf dem
Gewissen? Warum nicht? Jackie war in der Nacht vom 8. auf den 9. November — der
Mordnacht — nicht zu Hause gewesen, und am darauffolgenden Tag auch nicht. Der
Polizeibericht legte nahe, daß der Mörder direkt vor Matitch gestanden und ihn
somit gekannt hatte. Vielleicht waren die tödlichen Schüsse während einer
Unterhaltung von Frau zu Mann gefallen? Warum sollte Jackie den Kroaten getötet
haben? Um ihn zu bestrafen? Die schöne Tänzerin schien rachsüchtig wie

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