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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Er wusste, er musste damit aufhören. Musste die Zeit auskla m mern und sich konzentrieren. Seine Gedanken ordnen. Improvi sieren. Musste den Möglichkeiten ins Auge sehen, die ihm blie ben. Scheiße!
    » Okay «, sagte Harry und schloss die Augen. » Erzählen Sie mir Ihre Geschichte. «
    Handschellen klirrten, als Sven Sivertsen sich vorbeugte.
    Harry stand an dem offenen Fenster und rauchte, während er Sven Sivertsens heller Stimme lauschte. Er begann damit, wie er im Alter von 17 Jahren zum ersten Mal seinem Vater begegnet war.
    » Meine Mutter dachte, ich wäre in Kopenhagen, aber ich bin nach Berlin gefahren und habe ihn aufgesucht. Er wohnte in einem prächtigen Haus mit Wachhunden im Diplomatenviertel am Tiergarten. Ich brachte den Gärtner dazu, mich zur Ei n gangstür zu begleiten, und klingelte. Ich dachte, ich blicke in einen Spiegel, als er öffnete. Wir standen nur da und glotzten uns an, und ich brauchte noch nicht einmal zu sagen, wer ich war. Schließlich begann er zu weinen und umarmte mich. Ich wohnte vier Wochen bei ihm. Er war verheiratet und hatte drei Kinder. Ich fragte ihn nicht, was er machte, und er erzählte es mir nicht. Randi, seine Frau, war in irgendeinem teuren Sanat o rium in den Alpen wegen eines unheilbaren Herzleidens. Das hörte sich für mich an wie ein Liebesroman. Und manchmal fragte ich mich, ob das der Grund war, sie dorthin zu bringen. Er liebte sie, ganz ohne Zweifel. Oder vielleicht eher: Er war in sie verliebt.
    Wenn er davon sprach, dass sie sterben würde, hörte sich das wie eine Schnulze an. Eines Nachmittags kam eine Freundin seiner Frau zu Besuch, wir tranken Tee, und Vater sagte, das Schicksal habe ihm Randi über den Weg geschickt. Doch sie hätten einander derart schamlos und innig geliebt, dass das Schicksal sie gestraft und Randi vor ihm habe welken lassen, ohne ihr jedoch die Schönheit zu nehmen. Das sagte er, ohne rot zu werden. Als ich in dieser Nacht nicht schlafen konnte und mich nach unten schlich, um mich an seiner Hausbar zu bedi e nen, beobachtete ich, wie sich diese Freundin aus seinem Schlaf zimmer stahl. «
    Harry nickte. War die Nachtluft kälter geworden oder bildete er sich das bloß ein? Sivertsen bewegte sich.
    » Tagsüber hatte ich das Haus für mich. Mein Vater hatte zwei Töchter, eine vierzehn und eine sechzehn. Bodil und Alice. Für die war ich natürlich unglaublich spannend. Ein älterer, unb e kannter Halbbruder, der einfach so bei ihnen hereingeschneit war. Beide waren in mich verliebt, doch ich entschied mich für Bodil, die jüngere. Eines Tages kam sie früh von der Schule zurück, und ich nahm sie mit in das Schlafzimmer unseres Vaters. Als sie anschließend die blutigen Laken abziehen wollte, jagte ich sie aus dem Zimmer und schloss die Tür ab. Ich gab dem Gärtner den Schlüssel mit der Bitte, ihn Vater auszuhänd i gen. Am nächsten Morgen beim Frühstück fragte mein Vater mich, ob ich für ihn arbeiten wolle. So begann ich, Diamanten zu schmuggeln. «
    Sivertsen hielt inne.
    » Die Uhr tickt «, sagte Harry.
    » Ich habe von Oslo aus gearbeitet. Abgesehen von Anfänge r fehlern, die mir Vorstrafen einbrachten, machte ich meine Sache gut. Meine Spezialität war es, am Flughafen ungehindert durch den Zoll zu kommen. Es war so einfach. Man musste sich nur wie eine respektable Person kleiden und furchtlos wirken. Und Angst hatte ich keine. Mir war alles egal. Für gewöhnlich trug ich ein Pastoren-Beffchen. Das ist natürlich ein dermaßen offensichtlicher Trick, das s m an dadurch auch die Aufmerksa m keit der Zollbeamten auf sich ziehen kann. Der Punkt ist, dass man auch wissen muss, wie sich ein Geistlicher bewegt, wie er sich die Haare schneidet, welche Schuhe er trägt, wie er die Hände hält und in was für Falten er sein Gesicht legt. Wenn man das lernt, wird man beinahe nie kontrolliert. Denn selbst wenn ein Zöllner Verdacht schöpft, ist die Hemmschwelle zu groß, dich anzuhalten. Ein Zöllner, der den Koffer eines Pastors durchsucht, ohne etwas zu finden, während langhaarige Hippies vorbeigehen, kann sich dummer Kommentare sicher sein. Und der Zoll ist schließlich eine Behörde wie jede andere. Die Öf fentlichkeit soll den positiven –wenn auch falschen –Eindruck vermittelt bekommen, sie machten einen guten Job. 1985 starb mein Vater an Krebs. Randis unheilbares Herzleiden war noch immer unheilbar, doch nicht so schlimm, dass sie nicht nach Hause zurü ckk ehren und seine Geschäfte weiterführen konnte. Ich

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