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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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das eigentliche Leben war, hatte er nicht viel Zeit gewidmet. Die Antwort konnte ihm auch kein besseres Leben verschaffen. Eher ein schlechteres. Denn alles was gut war –alles –, musste früher oder später dem Gesetz der Schwerkraft, das für jeden Alkoholiker galt, weichen: dem Großen Durst. So jedenfalls hatte die Gleichung ausgesehen, die er für sich aufgestellt hatte. Bis er Rakel und Oleg begegnet war. Sie hatten der Nüchternheit eine neue Dimension verliehen. Doch das allein hob das Gesetz der Schwerkraft nicht auf.
    Und jetzt ertrug er seine Albträume nicht mehr. Ihre Schreie. Den Schock in den starren, toten Augen, während der Kopf zur Decke des Fahrstuhls strebte. Er streckte seine Hand zum Schrank aus. Nichts sollte unversucht bleiben. Er legte das Taschenmesser neben die Flasche Jim Beam und schloss die Schranktür. Dann ging er zurück ins Schlafzimmer.
    Er machte das Licht nicht an, doch ein Streifen Mondlicht fiel durch die Gardinen. Decke und Matratze sahen aus, als wollten sie sich des klammen, zerknüllten Bettzeugs entledigen.
    Er kroch hinein. Das letzte Mal, dass er ohne Albtraum g e schlafen hatte, war während der wenigen Minuten auf Camilla Loens Bett gewesen. Auch da hatte er vom Tod geträumt, allerdings mit dem Unterschied, dass er keine Angst gehabt hatte. Ein Mann kann sich verschließen, aber er muss schlafen. Und im Schlaf kann sich niemand verschließen.
    Harry schloss die Augen.
    Die Gardine bewegte sich, und das Mondlicht wanderte. Über die Wand hinter dem Bett, auf die schwarzen Kerben, die ein Messer hinterlassen hatte. Es musste mit großer Kraf t g eführt worden sein, denn die Kerben waren hinter der weißen Tapete tief ins Holz eingedrungen. Die zusammenhängende Wunde bildete einen großen, fünfzackigen Stern.
     
    S ie lag da und lauschte dem Verkehr auf der Trojská draußen vor dem Fenster und seinem tiefen, gleichmäßigen Atem neben sich. Manchmal glaubte sie, aus dem zoologischen Garten Ge kreisch zu hören, doch vielleicht waren das auch nur die Bremsen der in den Bahnhof einfahrenden Nachtzüge auf der anderen Seite des Flusses. Er hatte gesagt, er möge das G e räusch, als sie hierher gezogen waren, an die Spitze des braunen Fragezeichens, das die Moldau durch Prag malte.
    Es regnete.
    Er war den ganzen Tag fort gewesen. In Brno, hatte er gesagt. Als sie ihn endlich die Wohnung betreten hörte, lag sie bereits im Bett. Sie hatte das Kratzen der Koffer im Flur gehört, ehe er in das Schlafzimmer gekommen war. Hatte sich schlafend ge stellt, ihn aber verstohlen gemustert, als er sich mit ruhigen Bewegungen auszog und ab und zu einen Blick in den Spiegel neben dem Schrank warf, um sie anzusehen. Dann war er ins Bett gekrochen, und seine Hände waren kalt gewesen und seine Haut klebrig vor getrocknetem Schweiß. Sie hatten sich zur Trommelmusik des Regens geliebt, und er hatte salzig g e schmeckt und war anschließend wie ein Kind eingeschlafen. Gewöhnlich wurde auch sie nach der Liebe müde, doch jetzt lag sie wach da, während sein Saft langsam aus ihr in die Laken rann.
    Sie tat so, als wisse sie nicht, was sie wach hielt, obgleich ihre Gedanken immer wieder um dasselbe kreisten: Am Tag nach seiner Rückkehr aus Oslo hatte sie beim Ausbürsten ein hal b langes, blondes Haar auf dem Ärmel seiner Jacke entdeckt. Am Samstag wollte er wieder nach Oslo zurück. Zum vierten Mal in vier Wochen. Noch immer wollte er nicht erzählen, was er dort tat. Das Haar konnte natürlich von überall her stammen, von einem Mann oder einem Hund.
    Er schnarchte.
    Sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung. Sein offenes G e sicht und seine offenherzigen Geständnisse, die sie hatten glauben machen, er sei ein offener Mensch. Sie war bei ihm dahingeschmolzen wie Schnee auf dem Wenzelsplatz in der Frühlingssonne. Doch wenn eine Frau einem Mann derart leicht erlag, würde ein Zweifel sie auf ewig plagen: ob sie nicht die Einzige war, der es so erging.
    Doch er ging respektvoll mit ihr um, fast wie mit einer ebe n bürtigen Person. Dabei hatte er Geld genug, um sie wie eine der Prostituierten auf der Perlov á zu behandeln. Er war ein Lott o gewinn, das Einzige, was sie jemals gewonnen hatte. Das Einzi ge, was sie zu verlieren hatte. Diese Gewissheit war es, die sie vorsichtig machte. Sie davon abhielt zu fragen, wo er gewesen war, mit wem er sich traf und was er eigentlich trieb.
    Aber etwas war geschehen, etwas, weswegen sie wissen musste, ob er ein Mann war, dem sie wirklich

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