Das Fulcanelli-Komplott (German Edition)
führte durch die Tiefgarage. Anschließend musste man eine schmuddelige Treppe hinaufgehen und eine schwere stählerne Sicherheitstür öffnen. Die Wohnung war Versteck und sicherer Unterschlupf zugleich. Die Einrichtung war spartanisch, wenngleich es alles Nötige gab. Sein Zuhause bestand aus einer winzigen Küche, einer Nasszelle, einem einfachen Schlafzimmer und einem Wohnzimmer, in dem sich ein Lehnsessel, ein Schreibtisch, ein Fernseher und sein Laptop befanden. Das war alles, was Ben in seinem Stützpunkt auf dem Kontinent brauchte.
Die Kathedrale von Notre-Dame ragte hoch hinauf in den Pariser Himmel im Schein der späten Nachmittagssonne. Während sich Ben dem majestätischen Bauwerk näherte, redete ein Reiseführer auf eine Gruppe kameraschwingender amerikanischer Touristen ein. «Der Grundstein wurde 1163 gelegt, und die Bauzeit betrug hundertsiebzig Jahre. Dieses unvergleichliche Juwel in Stein stand während der Französischen Revolution dicht vor der Zerstörung und wurde erst Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wieder zu alter Pracht restauriert …»
Ben betrat die Kathedrale durch den Westeingang. Es war viele Jahre her, dass er zum letzten Mal den Fuß in eine Kirche gesetzt hatte. Es war ein eigenartiges Gefühl, und er war nicht sicher, ob es ihm gefiel oder nicht. Trotzdem musste er einräumen, dass das Bauwerk atemberaubend und erhaben war.
Vor ihm erhob sich das Mittelschiff unter einer schwindelerregend hohen Gewölbedecke. Die Bögen und Pfeiler der Kathedrale schimmerten golden im Licht der untergehenden Sonne, das durch die prachtvolle, bleiverglaste Fensterrosette in der Westfassade fiel. Ben ging eine ganze Weile auf und ab, und seine Schritte hallten von den Wänden und Steinfliesen wider, während er die zahlreichen Statuen und Bildhauereien betrachtete.
Unter dem Arm hatte er die gebrauchte Ausgabe eines Buches aus der Feder des Mannes, den er im Auftrag von Sebastian Fairfax suchen sollte – den schwer zu fassenden Meisteralchemisten Fulcanelli. Das Buch war eine Übersetzung mit dem Titel The Mysteries of the Cathedrals – Die Geheimnisse der Kathedralen, geschrieben 1922. Als Ben in der Abteilung für okkulte Schriften in einem Pariser Antiquariat zufällig auf das Buch gestoßen war, hatte es ihn zunächst in helle Aufregung versetzt. Sofort hatte er es gekauft in der Hoffnung, irgendeinen wertvollen Hinweis zu entdecken. Beispielsweise ein Foto des Autors oder irgendeine persönliche Information, einen Hinweis auf seinen richtigen Namen oder Details über seine Familie – oder gar irgendeine Erwähnung des geheimnisvollen Manuskripts.
Doch es gab nichts dergleichen. Im Buch ging es einzig um die versteckten alchemistischen Symbole und Kryptogramme, die Fulcanelli zufolge in ebenjene Kathedralenmauern gehauen waren, die Ben jetzt anstarrte.
Das Portal des Jüngsten Gerichts war ein großer gotischer Torbogen, bedeckt von kunstvollen Reliefs. Unter Reihen von Heiligen gab es eine Serie von Bildern, die verschiedene Figuren und Symbole darstellten. Nach Fulcanellis Buch besaßen diese Skulpturen eine verborgene Bedeutung – einen geheimen Code, den nur die Erleuchteten lesen konnten. Für Ben war alles völlig unverständlich. Offensichtlich bin ich nicht erleuchtet , dachte er. Aber um das zu wissen, muss ich nicht erst Fulcanelli lesen.
Im Zentrum des massiven Portals, am Fuß einer Christusstatue, gab es ein rundes Bild, das eine Frau zeigte, die auf einem Thron saß. Sie hielt zwei Bücher, eins geöffnet, eins geschlossen. Fulcanelli behauptete, dass es sich um Symbole von offenem und verstecktem geheimem Wissen handelte. Bens Blick glitt zu den übrigen Figuren auf dem Portal. Eine Frau mit einem Äskulapstab, dem antiken Symbol der Heilung. Ein Salamander. Ein Ritter mit einem Schwert und einem Schild, der einen Löwen zeigte. Ein rundes Emblem mit einem Raben darauf. Alle schienen eine geheime Botschaft zu verkünden. Fulcanellis Buch führte ihn weiter zum Portal der Jungfrau. Dort gab es einen Sarkophag auf dem mittleren Gesims, der eine Episode aus dem Leben Christi darstellte. Die Verzierungen entlang der Seiten des Sarkophags wurden im Buch als die alchemistischen Symbole für Gold, Quecksilber, Blei und andere Substanzen erklärt.
Aber waren sie das tatsächlich? In Bens Augen sahen sie aus wie gewöhnliche Blumenmotive. Wo war der Beweis, dass die mittelalterlichen Bildhauer esoterische Botschaften in ihren Arbeiten versteckt hatten? Ben konnte die
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