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Das Gastgeschenk der Transsolaren

Das Gastgeschenk der Transsolaren

Titel: Das Gastgeschenk der Transsolaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Leman , Hans Taubert
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Geländes hingibt, empfindet nicht nur seine exotische Schönheit. Ich erinnere mich genau: Wir alle hatten uns darauf gefreut, Minehoa einmal im Skaphander zu sehen und zu beobachten, ob es ihrer Grazie gelänge, die ungefüge Grobheit dieses Panzers zu besiegen. Der beschwerliche Weg über die Gangway unterm Außenfahrstuhl der 12 P
    2000 hatte damals Minehoas Aufmerksamkeit abgelenkt. Dann aber, am Fuße der Gangway, sah sie auf, richtete ihre dunklen Augen zum erstenmal unmittelbar auf dieses Land, das sich rundum endlos im Dunkel verlor, dessen Bild diesmal nicht begrenzt war durch den Rahmen des TV-Schirmes und in seiner Eindringlichkeit nicht gemindert durch elektronische Übersetzung. Sekundenlang stand sie erstarrt. Hilfeheischend wandte sie sich uns zu, der Reihe nach, wie wir dastanden. Ich weiß, sie suchte Bernin, aber sie konnte ihn nicht herausfinden unter uns Gleichen. Dann drehte sie sich mit kleinen, eckigen Schrittchen um und stützte sich, die Arme gerade vorgestreckt, an das Gehäuse der Gangway, um nichts zu sehen als eben dieses Blech, das ihr als vertrauenswürdiger Rückhalt erschienen sein mochte. Anzew hatte zuerst begriffen. Er half ihr zum Fahrstuhl zurück.
      »Sie kann doch nicht ewig die Arme so hochhalten«, bemerkte er beiläufig, »sogar mit ihrem Skaphänderchen wird das hier auf die Dauer zu schwer. Was steht ihr herum wie verlegene Pinguine?« rief er dann, »es gibt Arbeit genug!«
      Der flüssige Gang der wissenschaftlichen Arbeiten stockte zu dem Zeitpunkt, als bestimmte chemisch-analytische Aussagen notwendig wurden. Mein Eindruck heute: Die Chemiker sitzen inzwischen fest, und der Grund ihrer Erfolglosigkeit scheint mit dem Ungewissen zu verschmelzen, das auf uns lastet.
      Die Analysen der Materialproben sind nichtssagend oder widersprüchlich, soweit sie diese Schicht betreffen, die die ganze Gegend etliche Zentimeter dick bedeckt. Nach wie vor ist lediglich sicher, daß es sich um ein hochmolekulares Polymerisat aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff handelt. Die Dichte ist äußerst gering, das Molekulargewicht schwankt. Es gibt eine Menge andere Elemente im Molekül, besonders Schwermetalle in komplexer Bindung. Alles übrige ist vage.
      Schon bei der ersten Aussprache, als wir noch alle in der 12 P zusammen waren, wies Chef Stufford darauf hin, daß bei einer derartigen Gravitation und der dünnen Atmosphäre doch irgendwann hier etwas herunterfallen müsse, Meteoriten, größere Brocken, allenfalls auch Staub. Nicht die winzigste Spur sei davon zu entdecken, und wir hätten schon viel Fläche abgetastet. Die Meinungen gingen hin und her. Stufford lag lang in seinem Sessel, hatte die Beine auf einem zweiten ausgestreckt und das Kinn auf der Brust, als ob er schliefe. Er kennt die Heimat seiner Eltern kaum, aber saloppe Haltung bei den Nordstaatlern der AU scheint erblich zu sein. Bei ihm bricht sie durch, wenn er nachdenkt. Plötzlich sagte er, ohne seine Haltung zu verändern, mitten in die Auseinandersetzung hinein: »Neu! Das ist es.« Als wir verständnislos schwiegen, richtete er sich auf. »Versteht ihr nicht? Die Oberfläche sieht neu aus oder jung, wenn ihr wollt. Sie hat kein Alter, das durch Spuren und Narben gezeichnet ist.«
      Jahn beeindruckte die Temperaturdifferenz zwischen ziemlich konstant hundertsechzig Grad Kelvin in Bodennähe und genau zweihundertachtundsechzig Grad in den paar Zentimetern Kruste. In dem mineralischen Material unter der glasigen Decke fielen die Temperaturen wieder ab. Für ihn als Physikochemiker war das unerklärlich, und er weiß wohl auch heute noch nichts damit anzufangen, sonst hätte er Bernin informiert.
      Wir büßten seither viel an Optimismus ein. Das Unbegreifliche hatte uns ergriffen im Sinne dieses Wortes: Es griff nach uns.
      Menschen, die sich auf der Grenze des Bekannten bewegen, begegnen oft Erscheinungen, die sie nicht verstehen. Das stachelt ihre Neugier an und ist ihre beste Triebkraft. Aber wir zwölf hier sind zu allein, als daß wir dem Unbegreiflichen nur neugierig gegenübertreten könnten. Der bis in unsere Zeit mitgeschleppte Rest uralter Überlieferung trifft hart auf unser modernes Wissen. Das Nichterkennbare wird für uns bedrohlich, wie die Alten den Dämon fürchteten. Uns als Menschen zu bewähren, die das Dämonische hassen, macht uns Mühe. Vielleicht ist das unsere Nervosität.

      10. 3. 22
    Der Mißklang aller Rufsignale zugleich beendete unsere heutige Freiwache

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