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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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irgendeines persönlichen Ehrenkodex, konntest du nicht beurteilen. Am Ende hattest du die Voltzahl so weit erhöht, wie du es gerade noch riskieren wolltest. Aus seinem Haar und seiner Nase stieg Rauch auf. Der Knebel konnte seine Schreie kaum noch unterdrücken, und du musstest den Fernseher laut aufdrehen, um sie zu übertönen. Du warst dankbar für die dicken Wände dieser alten viktorianischen Sandsteinhäuser. Jedes Mal, wenn seine Pupillen in den Augenhöhlen verschwanden, hattest du Angst davor, sie würden nie wieder zum Vorschein kommen. Schließlich stieß er zwischen Schluchzen, Keuchen und Würgen vier kleine Wörtchen hervor. Die süßesten vier Wörter, die du seit vielen Jahren gehört hattest. Beinahe so süß wie »Ich liebe dich, Mommy«.
    »Donald. Miller. Toronto. University.«
    Du hattest dich bei P. Cardew bedankt und dann ein Liedchen gesummt, um sein Flehen und Betteln auszublenden. Ihm war keine Kraft mehr geblieben, sich zu widersetzen. Also zogst du ihn über den Flur ins Schlafzimmer, vorbei an abgewohnten Möbeln aus dunklem Holz. Auf dem Bett lag eine grüne Tagesdecke, auf dem Nachttischchen standen ein Aschenbecher und eine Fotografie seiner Neffen und Nichten.
    Nachdem er dankbar den Becher Wasser mit einer Handvoll Valium-Tabletten ausgetrunken hatte, sank er mit offenem Mund entkräftet aufs Kissen. Du hattest die Wohnung gesäubert und akribisch jede Spur deiner Anwesenheit beseitigt. Dann hattest du eine seiner Capstan Full Strength angezündet und sie ihm zwischen die Finger gesteckt. Er schlief bereits tief und fest, als die filterlose Zigarette auf die Tagesdecke sank, auf der sich ein dunkler, brauner Fleck ausbreitete, der erst zu qualmen und dann zu brennen anfing.
    Von einer Ecke des Zimmers aus sahst du dabei zu, wie erst das Bett und dann der halbe Raum in Flammen aufging. Er wachte nie wieder auf.
    Als du das Gartentürchen ins Schloss zogst, glühte hinter den Gardinen des Zimmers ein sanfter, orangefarbener Schimmer, der für einen zufällig vorbeikommenden Passanten wie der Schein eines hübschen Kaminfeuers gewirkt haben musste.
    Zwei Tage später, am Flughafen von Glasgow, konntest du die Schlagzeile lesen: MANN AUS RUTHERGLEN STIRBT BEI WOHNUNGSBRAND.
    Du überflogst den Artikel (»Paul Cardew, 66, kürzlich pensioniert … Feuerwehr in Strathclyde … Gefahren des Rauchens im Bett«), trankst deinen Kaffee aus und bestiegst den Flieger nach Toronto.
    Danach wurde alles sehr viel einfacher. Auch dank deines Schauspieltalents. Es war ein Leichtes, die Dame im Verwaltungsbüro der Universität von Toronto zu umgarnen. Und nachdem sie in den Unterlagen nachgesehen hatte, konnte sie dir mitteilen, dass Donald Miller, dein Neffe aus Schottland – »der kleine Donnie« –, dort tatsächlich 1996 sein Magisterstudium absolviert hatte. Wenn du ein Momentchen Zeit hättest, dann würde sie kurz nachsehen, an welche Adresse der Ehemaligen-Rundbrief verschickt wurde – und, o ja, da haben wir’s, ein Apartment in Regina, Saskatchewan. Die Adresse sei leider ein paar Jahre alt, es würden ja nur sehr wenige Studenten mit ihnen in Verbindung bleiben.
    Zwei Tage später in Regina konntest du in keinem der Telefonbücher einen Donald Miller finden. Es war keine große Stadt, aber einfach herumzulaufen und zu fragen, hätte wohl kaum etwas gebracht. Dir fehlte eine vernünftige Idee, wie du die Suche angehen solltest. Die ersten paar Wochen liefst du dann tatsächlich durch die Straßen, in der Hoffnung, du würdest vielleicht im Gesicht eines der erwachsenen Passanten das des zahnlückigen Dreizehnjährigen entdecken. Aber eigentlich war dir klar, dass du ihn niemals wiedererkennen würdest. Du gingst in die Stadtbibliothek und warfst einen Blick ins Wählerverzeichnis. Auch das war nicht von Erfolg gekrönt. Aus Wochen wurden Monate, und du warst bereits auf bestem Wege, die Hoffnung zu verlieren, als das Schicksal dir völlig unerwartet die entscheidende Karte zuspielte. Eines Morgens saßt du in einem Café und schlugst eine Ausgabe des Regina Advertiser auf, die jemand neben dir liegengelassen hatte. Beim Überfliegen der Immobilienseiten und Lokalnachrichten fiel dein Blick erst auf eine Kolumne mit dem Titel Miller’s Tipps , dann auf das briefmarkengroße Foto neben der Überschrift – ein schüchtern lächelnder Mann Anfang vierzig – und schließlich auf die Autorenzeile am Fuß der Seite: »Donald Miller«.
    Du hattest mehrere Minuten dagesessen und flach durch

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