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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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Stufen unter ihm, aber er hatte wohl die Gefahr noch rechtzeitig erkannt und hielt sich zurück.
    »Das Ende vom Lied war, dass wir auf die Bremse treten mussten.« Mein Schwager neigte, seit er Minister war, nicht nur zu einer immer hochtrabenderen Ausdrucksweise, sondern hatte auch zahlreiche Politikerklischees übernommen. »Ich kann die Augen nicht davor verschließen, dass der wichtige Faktor in unserer Beziehung für die Lynchs der ist, dass sie mir einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Einkommens verdanken. Warum auch nicht? Wenn man es so sieht, ist es für alle einfacher. Es ist sinnlos zu glauben, wir könnten auf Augenhöhe miteinander verkehren, das funktioniert einfach nicht.«
    Ich weiß nicht, ob Ivor diese Floskel geprägt hat, fest steht, dass er sie als einer der Ersten benutzte. Ich habe sie zuerst von ihm gehört, auch wenn sie jetzt zum Versatzstück der Politikersprache geworden ist und keine große Rede ohne sie auskommt. Aber Iris und ich waren froh über den Bruch mit den Lynchs und versicherten uns das an jenem Abend auch gegenseitig, wobei Iris noch anmerkte, es sehe so aus, als werde ihr Bruder endlich vernünftig. Wir hatten uns zu früh gefreut. Ivors Fehler war nicht so sehr, dass er mit der Familie Lynch verkehrt oder dass er ihnen Geld gegeben hatte, sondern dass er den Mann, der seinen Wagen wartete, gebeten hatte, den Mercedes zu fahren, mit dem Hebe »abgegriffen« werden sollte.
    Es dauerte dann noch eine Weile bis zu unserem Déjà-vu-Erlebnis. Fast jede Woche steht in der Zeitung, dass ein (zu diesem Zeitpunkt noch namenloser) Mann der Polizei bei ihren Ermittlungen behilflich ist. Wir registrierten wie alle anderen im Land, dass man einen Schuldigen für den Mord an Jane Atherton gefunden hatte, die arme Frau mit dem Krisselhaar, die Frau, die in ihrem Blut auf dem Bett gelegen hatte. Nur selten allerdings lässt uns die Zeitung später wissen, dass die Polizei den Namenlosen habe laufen lassen, weil er der Falsche gewesen war.
    Diesmal allerdings sah es aus, als hätten sie den Richtigen erwischt. Sie ließen ihn nicht laufen. Nicht wie damals, als man ihn im Verdacht gehabt hatte, Verbindung ZUR IRA ZU haben. Der Mann hieß Sean Lynch und war angeklagt, Jane Atherton ermordet zu haben.

27
    Wir erfuhren nie, wie die Verbindung zustande kam, sondern waren immer nur auf Vermutungen angewiesen. Am nächsten Tag brachte ein einziges Blatt eine kurze, scheinbar harmlose Meldung: Der Verhaftete war der ältere Bruder von Dermot Lynch, der vor vier Jahren als Fahrer eines Entführungsautos an einem Unfall beteiligt gewesen war, bei dem zwei Menschen den Tod gefunden hatten. Nun ist es so, dass die Medien über einen Menschen, der vor Gericht erschienen und gegen den offiziell Anklage erhoben worden ist, eigentlich zu schweigen haben. An seine Vergangenheit, seine Herkunft, seine Familiengeschichte – an all das darf wegen der Gefahr, die Öffentlichkeit negativ zu beeinflussen, nicht gerührt werden, denn aus dieser Öffentlichkeit rekrutieren sich später die Geschworenen.
    Meist berichten die Medien über diese Dinge tatsächlich nicht, aber es gibt Ausnahmen, die gewöhnlich die Justiz veranlassen, Rügen auszusprechen oder sogar Strafen anzudrohen. Die Angaben über Dermot Lynch zu veröffentlichen (der nie verurteilt worden war, und schon gar nicht wegen einer Entführung) war ein Verstoß gegen diese Regel, der aber nie geahndet wurde. Normalerweise las Ivor regelmäßig mehrere Tageszeitungen, aber offenbar nicht an jenem Tag. Am Vorabend hatte er mir am Telefon gesagt, dass er »in aller Herrgottsfrühe« zu irgendeiner Besichtigung oder Inspektion nach Culdrose in Cornwall fliegen würde, einem Hubschrauberstützpunkt DER RAF .
    Heutzutage ist jedermann – und jede Frau – per Mobiltelefon jederzeit und überall erreichbar, angeblich gibt es hierzulande mehr Handys als Einwohner. Damals war das noch anders. Ich hatte keins, und Iris hatte keins. Die arme Jane Atherton hatte eins gehabt, aber nur fürs Auto. Ivor hatte mir seins gezeigt, aber ich hatte seine Nummer nicht und hielt es für sehr fraglich, dass irgendjemand im Ministerium bereit sein würde, sie mir zu geben. Außerdem mochte ich ihn auf einer wichtigen Dienstreise nicht mit dieser Nachricht überfallen.
    Stattdessen rief ich Juliet an.
    Dabei wurde mir klar – was ich immer wieder vergaß –, dass Ivors Verlobte über die Ereignisse im Mai 1990 genauso viel wusste wie wir, wahrscheinlich so viel wie

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