Das Geburtstagsgeschenk
nicht der Wunsch, versorgt zu werden. Es war Liebe.
»Ich habe mich geirrt«, stellte Iris fest, als Juliet fort war. »Sie würde Ivor nie betrügen.«
Ivor rief an jenem Abend nicht mehr an, obwohl er inzwischen Bescheid wusste. Er hatte die Zeitung auf dem Rückflug gelesen, und auch in der Abendausgabe hatten ein paar schäbig-hinterhältig formulierte Sätze gestanden. Dermot Lynch – der Fahrer des Wagens bei der geplanten Entführung von Kelly Mason –, der lange Zeit im Koma gelegen habe, sei nun teilweise wiederhergestellt. (Als seien Entführung, Unfall und Genesung jüngste Vergangenheit.) Juliet erzählte es uns am nächsten Morgen, sie rief an, nachdem Ivor ins Ministerium gefahren war. Sie hatten beide auch den Artikel in der konservativen Tageszeitung gelesen, die Ivor abonniert hatte.
Dort wurde lediglich über Sean Lynchs Verhaftung berichtet und dass er dem Untersuchungsrichter vorgeführt worden sei, wo man gegen ihn Anklage wegen vorsätzlichen Mordes erhoben und er sich nicht schuldig bekannt habe. Wie die Polizei auf seine Spur gekommen war, ließ sich dem Artikel ebenso wenig entnehmen wie etwas Erhellendes über Sean Lynch, es hieß nur, er sei dreiunddreißig Jahre alt (die himmlische Zahl) und wohne in Paddington, West London. Am Schluss dieser sachlichen Meldung aber standen wieder die beiden Zeilen über Dermot, seine Beteiligung an einem mutmaßlichen Entführungsversuch, seine lange Bewusstlosigkeit und seine »eingeschränkte Genesung«. Kein Wort über eine Verbindung zwischen beiden, nichts, woraus hervorging, dass sie unter demselben Dach lebten.
»Wie hat Ivor reagiert?«
»Gefasst. Er ist hart im Nehmen, Rob, das weißt du ja. ›Ich werde gar nicht erwähnt‹, sagt er. ›Sie haben die Verbindung nicht hergestellt, und wenn ich Glück habe, kommt sie auch nicht heraus.‹ Er muss heute Nachmittag im Unterhaus in einer anderen Sache ein Statement abgeben und wird sich dabei so unbeschwert geben, als hätte er keine einzige Sorge auf dieser Welt.«
Aber ich glaube, er hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon innerlich auf das eingestellt, was er plante für den Fall, dass die Situation sich zuspitzte, für den Fall, dass man ihn mit dem ›Entführungsauto‹, wie die Medien es mittlerweile nannten, und folglich auch mit Sean Lynch in Verbindung brachte. Das soll nicht heißen, dass er sich damit abgefunden hatte, in die Geschichte hineingezogen zu werden. Im Gegenteil, er hoffte inständig, die Medien würden es dabei belassen. Seans Prozess lag noch in weiter Ferne, bis dahin konnte Gott weiß was passieren. Er musste jetzt an die unmittelbare Zukunft denken, genau genommen an die nächsten Tage. All das erzählte er uns an dem Abend, nachdem er aus Coldrose zurückgekommen war und wir uns zu viert zum Essen trafen.
Er war schon immer nicht nur Optimist gewesen, sondern hatte auch etwas von einem Fatalisten, und das hörte ich jetzt an seiner Stimme und sah es – wenn das nicht zu melodramatisch klingt – in seinen Augen, ein Anzeichen kommender Verzweiflung. Ereignisse, von denen er gedacht – gehofft – hatte, sie seien für immer vorbei und abgetan, drohten jeden Moment wieder ans Licht zu kommen. Meine literarisch gebildete Frau sagte, ihr sei dazu eine Zeile aus King Lear eingefallen: »Die Götter sind gerecht: Aus unseren Lüsten erschaffen sie das Werkzeug, uns zu geißeln.« Ivor hatte allen Ernstes geglaubt, die Lüste genießen und dem Zorn der Götter entkommen zu können.
»Wenn bis zum Wochenende nichts passiert ist«, sagte er beim Essen, »bin ich wohl wieder mal mit einem blauen Auge davongekommen. Komisch, aber als ich gestern Abend auf dem Rückflug den Artikel las, hatte ich das scheußliche Gefühl, als wenn sich mein Inneres nach außen kehrte – wie in einem Aufzug, der zu plötzlich anhält. Heute Morgen habe ich den Artikel noch einmal gelesen, da hatte ich mich schon daran gewöhnt. Er kam mir nicht mehr so schlimm vor. Und heute Abend im Standard haben sie die Geschichte wieder aufgegriffen, mit einem Zitat von diesem Mason und einem Foto des Unfallwagens nach der Kollision, und ich dachte nur: Warum habe ich mich gestern Abend im Flugzeug so aufgeregt? Man gewöhnt sich an alles.«
Juliet nahm seine Hand. »Es wird nichts mehr nachkommen, Schatz, du wirst dich nicht daran gewöhnen müssen. Es ist vorbei, da bin ich mir ganz sicher.«
Er war nicht überzeugt, und sie wahrscheinlich auch nicht. Wenn wir behaupten, wir seien uns sicher,
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