Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
Vom Netzwerk:
hätte.
    Es war kein guter Anfang, aber ich gebe nicht auf. Nach dem Abendessen macht er meist den Fernseher an und starrt schweigend auf den Bildschirm. Wenn Justin ruft, sagt er, ich soll bleiben, wo ich bin, und geht selber hin. Ich hatte mir vorgenommen, keine Hausarbeit zu machen, aber nun bleibt mir wohl nichts anderes übrig, wenn ich mich unentbehrlich machen will. Ursprünglich war es so gedacht, dass Justin und ich um fünf essen und Gerry sich später selber was machen sollte, ein belegtes Brot oder Rührei auf Toast. Seit einer Woche gebe ich Justin sein Abendessen und koche dann was für Gerry und mich. »Das ist aber nett«, sagte er beim ersten Mal, jetzt ist es zur Selbstverständlichkeit geworden.
    Dass er unglücklich ist, kann man ja verstehen, aber seine Jammermiene macht mich ganz verrückt. Ich weiß schließlich, wie Hebe wirklich war und wie unangebracht diese posthume Anbetung ist. Für sie war er nur eine Versorgungseinrichtung, und nicht mal eine besonders ergiebige. Hätte sie was Besseres gefunden, wäre sie auf und davon gegangen. Hätte ihm einen Zettel mit »Lieber Gerry« geschrieben, Justin, die Perlen und ihre Sachen genommen und sich auf den Weg in eine aussichtsreichere Zukunft gemacht. Wäre diese ergiebigere Quelle Ivor Tesham gewesen? Ich denke viel an ihn, denke an den Abend vor zehn Monaten, als er einen Wagen zum Watford Way geschickt hat, der sie mitnehmen sollte. Wenn er ihn geschickt hat. Wenn der Unfallwagen der Wagen war, den er geschickt hat. »Was gedenken Sie zu unternehmen?«, hat er mich gefragt. Gar nichts natürlich, wie käme ich dazu. Aber komisch war seine Frage schon.
    Ja, die Perlen … Sie sind oben in Gerrys Schlafzimmer in ihrer Schublade, zusammen mit dem Armreif, dem Verlobungsring und dem Medaillon, in dem Justins Bild ist. Gerry hat nicht nach ihnen gefragt, ihm sind sie egal. Wenn er morgens in der Arbeit ist und Justin im Wohnzimmer bei seinen Spielzeugautos – er hat an die hundert, und bei jedem neuen gibt es große Aufregung, na ja, er ist eben ein Kind –, gehe ich nach oben, mache die Schublade auf und schaue mir die Perlen an.
    Merkwürdigerweise sehe ich sie jetzt mit ganz anderen Augen als in meiner Wohnung. Damals habe ich nach ihnen gegiert, habe überlegt, wie ich sie verkaufen könnte, wie hoch das Risiko wäre, was mir dabei passieren könnte. Jetzt sehe ich sie als eine Art Notgroschen oder Versicherung. Ich weiß ja, dass sie Gerry nicht interessieren. Er würde es gar nicht merken, wenn sie nicht mehr da wären. Deshalb sehe ich sie jetzt als mein Erspartes, meine Pension, wenn man so will, etwas, worauf ich zurückgreifen kann, wenn alles andere schiefgeht. Dann werde ich es versuchen. Schlimmstenfalls setzt sich der Juwelier mit Gerry in Verbindung, nicht mit Ivor Tesham, und sagt ihm, was sie wert sind, und dann werden Gerry die Augen über seine geliebte Frau aufgehen.
    Er spricht neuerdings über sie. Die Abende vergehen nicht mehr schweigend, er schüttet mir sein Herz aus. Weil er weiß, dass sie mir auch fehlt, sagt er, weil ich sie auch geliebt habe. Er hat seine Frau verloren, die einzige Frau, die er je geliebt hat, aber ich habe meine beste Freundin verloren, die ich außerdem länger gekannt habe als er.
    Verliebte kennen den Gegenstand ihrer Liebe überhaupt nicht, das weiß ich erst jetzt, wo ich mir Gerrys Gejammere anhören muss. Weil mir in diesen Dingen eigene Erfahrungen fehlen, war mir das bisher noch nie aufgefallen. Die Hebe, die Gerry sich erschaffen hat, ist nicht die Frau, die ich kannte oder die andere Leute kannten, und ganz bestimmt nicht die Frau, die Ivor Tesham kannte, die Frau, die mir erzählt hat, dass sie eine halbe Stunde, nachdem ihr Mann zur Arbeit gegangen ist, mit Ivor Tesham Telefonsex hatte, oder die sich nur in Stiefeln und langem Mantel mit dem Bus auf den Weg zu ihrem Liebhaber machte und sich dafür von einer gefälligen Freundin ein Alibi geben ließ. Gerrys Hebe ist eine wunderbare Ehefrau und hingebungsvolle Mutter, die trotz der bewundernden Blicke von Fremden und trotz ihrer Schönheit nie einen anderen Mann angesehen hat. So hat er es tatsächlich gesagt! Sie hat sich leidenschaftlich ein zweites Kind gewünscht, aber sofort nachgegeben, als er sagte, sie könnten es sich nicht leisten. Wenn sie jemanden für Justin gehabt hätte, wäre sie wieder arbeiten gegangen. Das hat er ihr verboten, es käme überhaupt nicht in Frage.
    Ich höre zu. Ich nicke. Ich sage: »Ach, wirklich?«

Weitere Kostenlose Bücher