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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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Spitzen der Gesellschaft …“
    Und so ging es weiter. Sein behinderter Bruder kam aufs Tapet, seine fromme Mutter, die auf den Knien herumrutschte, um das Nötigste zum Leben zu verdienen, und dass er keine Arbeit fände, was er auf etliche nicht näher bezeichnete Ungerechtigkeiten in seiner Vergangenheit zurückführte, und schließlich erzählte er noch von der Hochachtung, ja Verehrung, die seine Freundin dem großen Mann entgegenbrachte, so dass ihn, Sean, manchmal regelrecht die Eifersucht packte. Dabei lachte er kehlig und schüttelte seinen Kopf, dass die strähnigen Haare flogen. Er würde alles für Ivor tun. Alles. Auf ein Wort sei er zu allem bereit. Er sah aus wie ein Auftragskiller; an das, was sich hinter dieser Feststellung womöglich verbarg, durfte ich gar nicht denken.
    Schließlich rettete uns Juliet, die ihn um die Säulen herum von einem Alkoven zum nächsten schleppte und einigen weniger berühmten konservativen Gästen vorstellte. Iris sprach aus, was ich nur gedacht hatte: Dass Juliet in dem schlichten weißen Kleid und der Hochsteckfrisur mit den goldenen Kämmen, aus denen sich hier und da ein paar Strähnen gelöst hatten, umwerfend aussah – wie eine Emma oder Marianne Dashwood aus einem Jane-Austen-Film.
    Wir hatten nicht lange bleiben wollen – Iris erwartete unser drittes Kind, sie fühlte sich zwar alles in allem wohl, wurde aber schnell müde –, doch bei solchen Anlässen kann man sich nicht immer unauffällig davonmachen. Wir wollten gerade gehen – Iris flüsterte mir zu, sie wolle jetzt ihre zehn Pfund haben, bar auf die Hand –, als Ivor wieder neben uns auftauchte und uns mit seinem Nachbarn bekannt machte, dem Kronanwalt Martin Trenant, der später, zum Amtsende von John Major, in den Adelsstand erhoben werden und bei den kommenden Ereignissen eine nicht unbedeutende Rolle spielen sollte. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass er Ivor das Leben gerettet hat, was ich damals natürlich nicht ahnen konnte.
    Wir sprachen – ja, worüber eigentlich? Über das Viertel wahrscheinlich und dass Trenants Frau zurzeit in Marrakesch weilte und über den unerwarteten Kälteeinbruch. Dann kam Nicola Ross dazu, überschwänglich wie immer und an jeder passenden und unpassenden Stelle ein ›Darling‹ einflechtend, um uns an ihr Herz zu drücken. Martin Trenant entfernte sich unauffällig, und Nicola kam auf Juliet zu sprechen, dass sie hübsch genug für höchste Ansprüche sei, aber dass sie, Nicola, nie, aber wirklich nie, Darling, gedacht hätte, Juliet und Ivor könnten ein Paar werden.
    Als wir im Taxi saßen, sprachen wir über Sean Lynch und die offenkundige Bewunderung, die er für Ivor hegte. Ein klarer Fall von Heldenverehrung, sagte Iris. So, wie er redete, und so, wie er sich gab, käme er ihr vor wie Ivors Bodyguard.
    Wir hatten die Lage ziemlich richtig erkannt, nur nicht in einem Punkt: Ivor hatte keine Angst vor diesen Menschen, weder vor Juliet noch vor Sean. Es schien, als habe er sich mit dem Angebot an die Lynchs von der Angst befreit und sich wieder in den Ivor aus seinen ersten Jahren im Parlament verwandelt, jenen Ivor, der mit zwei kurzen Sätzen und ein paar bewundernden Blicken Hebe Furnal erobert hatte und danach in großen Sprüngen die Treppe hochgestürmt war, als die Glocke zur Abstimmung rief.
    Aber da gab es noch etwas, was wir völlig falsch sahen. Hatten wir schon die Motive der Lynchs nicht verstanden, so war unsere Einschätzung von Juliet ein einziges großes Missverständnis. Möglicherweise waren wir nicht naiv, sondern zynisch.
    Meine Schwiegermutter blieb in Ramburgh House wohnen, und diese Regelung war Ivor offenbar sehr recht. Wenn er in seinen Wahlkreis fuhr, was häufig der Fall war, nahm er immer Juliet mit. Iris erinnerte sich daran, wie wir während unserer Verlobungszeit im Dunkeln über die Korridore geschlichen waren, und fragte ihn, was ›Ma‹ davon halte, dass er und Juliet auf Ramburgh House ein gemeinsames Zimmer hatten.
    »Du willst mich natürlich nur auf den Arm nehmen«, sagte er ziemlich von oben herab, »aber werde bitte nicht albern. Ich bin sechsunddreißig.«
    Das war keine Antwort, aber Iris hakte nicht nach. Wir wussten, dass Ivor, auch wenn er das nie ausdrücklich gesagt hatte, auf einen Sitz im Kabinett hoffte. Man redete darüber, und eine der ›gehobenen‹ Tageszeitungen hatte ihn sogar als geeigneten Innenminister ins Spiel gebracht – jung für den Posten, aber möglicherweise nicht zu jung. Dagegen

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