Das Geburtstagsgeschenk
wie soll man die Bude sonst nennen? – und blättere mein Scrapbook durch, fange ganz von vorn an, bei den Zeitungsausschnitten über den Unfall, der Hebe das Leben gekostet hat. Es sind vier, immer das gleiche Bild wüster Zerstörung, nur aus verschiedenen Blickwinkeln. Ich sehe zerfetztes, verbogenes Blech, geplatzte Reifen, geborstene Scheiben und große und kleine Glasscherben, aber keine Leichen oder Leichenteile, keine Blutspritzer oder Blutlachen. Dass in dem Wagen Menschen saßen, sieht man nur an dem Rest eines Mantels oder einer Jacke, der über einer kaputten Sitzlehne hängt. Hatten sie die Leichen schon weggeschafft, als diese Aufnahmen entstanden? Hatten sie den Fahrer aus dem Wrack geschnitten und ihn blutend und schwer verletzt in die Notaufnahme geschafft? Ich weiß es nicht, und es gibt wohl auch niemanden, der es mir sagen könnte.
Ich habe mir für die Fotos eigene Unterschriften ausgedacht. Die eine lautet: Die Reste des schwarzen Mercedes, an dessen Steuer Dermot Lynch aus Paddington, West London, saß. Der Name war mir ganz entfallen, kein Wunder nach allem, was ich durchgemacht habe. Ich hatte schließlich andere Sorgen. Jetzt habe ich nur die Sorge, wie ich an einen Job komme, Geld kriege, überleben kann. Nein, das ist übertrieben. Sterben werde ich nicht, ich werde nur die Wohnung aufgeben – die Bausparkasse wird die Hand drauf legen – und zu meiner Mutter ziehen. Und das ist ohne Übertreibung ein Schicksal, das schlimmer ist als der Tod.
Wenn ich diesen Gedanken allzu sehr ausspinne, habe ich keine Kraft mehr, Bewerbungen zu schreiben, und schaffe es morgen nicht zu dem Vorstellungsgespräch als Empfangsdame in einer Fabrik für Hohlblocksteine in Craven Park – wo immer das ist. Also blättere ich weiter in dem Scrapbook, stoße auf das Foto des Daily Express von der Pistole, die sie in dem Wagen gefunden haben – und dann kommt die erste Aufnahme von Ivor Tesham. Natürlich deutete und deutet nichts Konkretes darauf hin, dass er etwas mit dem Unfall zu tun hatte.
Was mag aus Dermot Lynch in Paddington, West London, geworden sein? Er hatte sehr schwere Verletzungen. Vielleicht ist er gestorben. Ich hole mir das Telefonbuch für West London. Paddington ist W2. Lynchs gibt es jede Menge, sehr oft auch mit dem Anfangsbuchstaben D, aber kein einziges Mal in W2. In W2 gibt es nur einen oder eine P.H. Lynch, William Cross Court 23, Rowley Place. PH. könnte seine Frau sein oder sein Vater oder sein Bruder. Ich möchte wirklich wissen, ob Dermot Lynch noch lebt.
20
Den Job in der Fabrik für Hohlblocksteine habe ich nicht gekriegt, dafür kriegte ich auf der Rückfahrt von Craven Park Probleme mit meinem Wagen. Ich steckte auf der Harrow Road fest, die Karre sprang nicht an, und mir wurde sehr schnell klar, dass das eigentliche Problem mal wieder das Geld war. Ich hatte nämlich meine Mitgliedschaft im Automobilclub auslaufen lassen und benutzte auch mein Handy nicht mehr. Ich hatte es sowieso nur fürs Auto gehabt, und ausgerechnet, wenn ich es mal wirklich gebraucht hätte … Es half nichts, ich musste den Wagen stehen lassen und sechshundert Meter zu einer Werkstatt marschieren, an die mich der Mann in einem Laden an der Straße verwiesen hatte. Sie versprachen, den Wagen abzuschleppen, durchzuchecken und einen Kostenvoranschlag für die Reparatur zu machen, aber als ich in ihrem Abschleppwagen zu meinem Auto zurückkam, steckte ein Strafzettel dran.
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätte der Heimweg Stunden gedauert. Auf dieser Strecke fuhr nur der 18er Bus, aber nicht in die Gegend, in die ich wollte, also nahm ich mir ein Taxi, auch wenn ich es mir nicht leisten konnte. Wir fuhren die Harrow Road entlang in die Warwick Avenue und bogen, weil die Straße vor uns gesperrt war, auf den Rowley Place ein. Und dort war rechts, kurz vor uns, William Cross Court. Ein Glücksfall? Wenn ja, war es der erste seit Jahren.
Ich habe nie Glück. Deshalb bin ich misstrauisch, wenn es doch mal kommt, und denke immer, dass es vielleicht gar kein Glück ist oder aber einen Haken hat.
Und überhaupt – was nützte mir das? Dass in William Cross Court ein oder eine Lynch wohnte, wusste ich schon. Ich hätte auch allein und ohne ein teures Taxi hinfinden können. Der Fahrer bog in eine Straße ein, die Park Place Villa hieß, und fuhr die Maida Avenue hoch bis zur Edgware Road. Natürlich nahm er die längste und damit auch teuerste Route.
Die Reparatur kostet achthundert Pfund, neue
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