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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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konnte, hatte er seine Hand auf ihre Augen gelegt. Er ließ sie einen Wimpernschlag lang dort liegen, dann nahm er sie wieder fort und Pippa blinzelte verdutzt.
    Strahlend heller Sonnenschein fiel durch tiefe Fenster in den Saal, der in Weiß und Gold erstrahlte. Der glatte Boden war aus weißem Marmor, die Säulen matt vergoldet, die Decke hoch oben war in leuchtenden Farben und Gold bemalt, Drachen und bunte Vögel, Blumen und Sonnen waren darauf abgebildet. Der Thron flammte in Rot und Gold und der junge Mann vor ihr trug einen fließenden Mantel in einem leuchtend dunklen Grün, der mit silbernen Ornamenten bestickt war, und unter dem es blutrot hervorblitzte. Sein Haar, das so eng und glänzend um seinen Kopf lag, endete in einem langen geflochtenen Zopf, der aussah wie der des Kochs.
    Pippa verschlang all die leuchtende Pracht mit ihren Augen, aber der Anblick währte nur ein paar Atemzüge lang, dann lag wieder finstere Nacht über dem Saal. Sie stöhnte enttäuscht.
    »Das war das Taggesicht«, sagte der Mann und hob erneut die Laterne auf. »Gefällt es dir?«
    Pippa nickte beklommen. Das war Zauberei, und der junge Mann neben ihr musste demnach ein Zauberer sein. War er möglicherweise der böse Ostwind? Sie konnte sich kaum vorstellen, dass er so jung sein sollte.
    »Wie – hm – wie heißt du?«, fragte sie und ihre Stimme bebte ein wenig. Sie ließ die Hand in ihren Beutel gleiten und umfasste den Messergriff.
    »Dongfeng«, antwortete der junge Mann zu ihrer Erleichterung. Er war nicht der böse Ostwind, was für ein Glück! »Und du?«
    »Pippa. Philippa Saffronia«, sagte sie.
    »Pippa.« Er blieb stehen und neigte nachdenklich den Kopf. »Den Namen habe ich doch schon einmal gehört?« Er schnipste nachdenklich mit den Fingern. »Ah, ja. Einer der Gäste hat ihn erwähnt.« Sein nachtdunkler Blick traf ihr Gesicht. »Du bist hier, um der Küche etwas zu liefern, hast du gesagt?«
    Pippa spürte, dass sie rot wurde. »Das war gelogen«, gab sie zu. »Ich wusste doch nicht, ob … Eigentlich suche ich nach Freunden, die hier im Schloss sein sollen.«
    »Ah, Freunde. Es ist schön, wenn man Freunde hat!« Dongfeng zog mit einer schwungvollen Bewegung den schweren Türflügel auf und ließ sie vorangehen. Sie hörte, wie hinter ihr die Tür zufiel. Er kam an ihre Seite und fasste sie am Ellbogen, um sie zu geleiten. »Wer hat deinen Namen erwähnt? Wenn ich mich doch nur erinnern könnte!« Er schnalzte mit der Zunge. »Ein junger Mann war es, glaube ich. Dunkle Locken und breite Schultern. Genau das, was jungen Mädchen an jungen Männern gefällt.« Er lachte.
    Pippa kniff sich aufgeregt ins Bein. Er musste von August sprechen! »Wo ist er?«, platzte sie heraus. »O bitte, bring mich zu ihm!«
    »So eilig ist es, hm?«, neckte Dongfeng sie.
    »Ja«, erwiderte Pippa sehr ernsthaft. »Es ist sehr eilig und sehr, sehr wichtig. Bitte!«
    »Nun, wenn es denn so eilig und dermaßen wichtig ist …« Dongfeng hielt an. Sie standen in einem dieser endlosen, düsteren, kalten Gänge, aus denen das Schloss zu bestehen schien, und der sich vor ihnen endlos in die Ferne zog. Pippa war müde und aufgeregt zugleich. »Wo ist er?«, fragte sie.
    »Hier herein«, erwiderte Dongfeng lächelnd, und auf seinen Wink hin erschien eine Tür in der Wand, gleich vor Pippas Nase. Sie streckte die Hand nach dem Türknopf aus, und die Tür schwang lautlos nach innen und schlug hinter ihr wieder zu.
    Es war so dunkel in dem Gemach. Ihre Schritte klangen dumpf, der Boden, auf dem sie sich vorsichtig vorantastete, war uneben und rau. »Dongfeng?«, fragte sie. »Wo bist du?« Aber der junge Mann und seine Lampe schienen sie nicht begleitet zu haben.
    »Hallo?«, rief sie laut. »Ist jemand hier?« Ihre Stimme klang erstickt, als wäre sie von dicken Vorhängen umgeben. Niemand antwortete. Pippa wollte sich zur Tür zurücktasten, von der sie sich gerade mal drei oder vier Schritte entfernt hatte, um diesem schrecklichen, finsteren Gelass zu entfliehen. Aber nach mehr als einem Dutzend Schritte begriff sie, dass sie entweder die Richtung zur Tür verfehlt hatte oder Tür samt Wand einfach verschwunden waren.
    »Dongfeng«, rief sie. »Hol mich hier heraus, bitte!« Aber auch dieser laute Ruf taumelte wispernd wie ein toter Nachtfalter von ihren Lippen und zerfiel zu Staub.
    Pippa schüttelte die Angst ab, die in ihr hochzukriechen begann. Der hilfsbereite junge Mann war ganz offensichtlich weniger freundlich, als er schien. Er

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