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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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hatte sie hier eingesperrt, und wahrscheinlich war er jetzt auf dem Weg, den bösen Ostwind von ihrem Eindringen zu unterrichten. Sie biss die Zähne zusammen. Warum war sie nur so dumm gewesen, dem Fremden zu vertrauen? Nur weil er einen Zopf trug wie Zarter Blütenzauber? Oh, wenn der Koch doch an ihrer Seite wäre!
    Sie zwang sich, von diesen kindischen Wunschträumen abzulassen. Als Erstes musste sie überlegen, wie sie hier aus diesem finsteren Loch wieder herauskam.
    Pippa hob die Hand und malte das Zeichen für »Licht« in die Luft. Sie musste daran denken, wie August darüber gestaunt hatte, und unterdrückte ein Schluchzen. Statt ihn zu befreien, saß sie nun selbst in der Falle!
    Das Licht glomm auf und drohte gleich wieder zu erlöschen. Der Zauber zerrte an ihr wie ein schweres Gewicht. Was war das für ein seltsames Schloss, in dem sie so einen einfachen Zauber nicht wirken konnte? Das Licht erstarb, ehe sie etwas von ihrer Umgebung erkennen konnte.
    Pippa atmete tief ein und machte sich bereit, den Zauber erneut zu wirken. Dieses Mal legte sie alle Kraft und alle Konzentration hinein, sagte laut: »Licht!«, und wirklich leuchtete das Licht in ihrer Hand auf und flackerte zwar wie eine Kerze im Sturm, aber erlosch nicht wieder.
    Sie hob die Hand und drehte sich einmal um sich selbst. Dunkelheit wie dichte Tücher, die sie zu erstickendrohten. Sie konnte gerade mal einen knappen Schritt weit sehen, und was sie sah, war – nichts.
    Sie ging los und hoffte darauf, an eine Wand zu stoßen, an der sie sich weiter entlangtasten konnte, um schließlich die Tür wiederzufinden. Die dann sicherlich abgeschlossen und verriegelt sein würde, dachte sie bitter. Dumme Pippa, auf ein freundliches Gesicht und süße Worte hereinzufallen. Hier, im Auge des Sturms!
    Dongfeng. Der Name schlug etwas in ihrem Inneren an, das leise mitschwang, wie eine Harfe, die den Ton einer Trompete aufnahm. Dongfeng. Dong. Feng. Dong. Dong, Dong …
    Pippa blieb abrupt stehen. »Liang Dong«, sagte sie laut. »Das ist ein Name!«
    Im gleichen Augenblick verzerrte sich erneut die Wirklichkeit um sie herum, warf Falten und schlug Blasen, tönte wie ein verstimmter Gong, schmeckte nach Rauch und Lakritz. Sie hustete vor Schreck und das Licht ging aus, aber das bemerkte sie gar nicht. »Ein Name«, wiederholte sie. »Aber natürlich! Nur – wer trägt diesen Namen?«
    Ein Donnerschlag ertönte, der sie zu Tode erschreckte und beinahe taub werden ließ. Ihm folgte ein Blitz, der sie blendete. Sie dachte, wie absurd das doch war – erst der Donner, danach der Blitz, dann fühlte sie, wie etwas sie packte und durch die Luft wirbelte wie einen Fetzen Papier. Ihr wurde übel, und dann verlor sie für einen winzigen Augenblick die Besinnung.
    *
    Als sie wieder zu sich kam, stand sie erneut in dem schrecklichen Thronsaal. Aber dieses Mal war es nicht dunkel, sondern rundum an den Säulen brannten schwarze Fackeln mit einem hässlichen blaugrünen Licht.
    Hoch oben im Zwielicht unter der Decke bewegten sich plumpe geflügelte Wesen, deren monströse Schatten unheilvoll über die Säulen huschten. Pippa riss den Blick von den namenlosen Schrecken über sich los und richtete ihre Augen lieber auf den Thron, auf dem jemand saß. Hoch aufgerichtet, die Hände auf die Armlehnen gelegt, den Blick ihr zugewandt. Sie war zu weit fort, um seine Züge erkennen zu können, aber er war dunkelhaarig, hatte ein ovales Gesicht und trug prachtvolle, rotseidene Gewänder, die mit der Farbe des Throns verschmolzen.
    Pippa tastete unwillkürlich nach ihrem Messer, aber das war fort. Sie musste es in dem dunklen Gelass verloren haben – oder Dongfeng hatte es ihr abgenommen, ohne dass sie es bemerkt hatte.
    »Tritt näher«, erklang eine Stimme, die hallte wie ein dunkler Gong. Sie wollte einfach stehen bleiben, wo sie war, aber ihre Füße gehorchten dem Mann auf dem Thron, nicht mehr ihr. Sie trugen Pippa unaufhaltsam voran, und mit jedem Schritt erkannte sie ein Detail mehr an dem Mann auf dem Thron. Das lackschwarze Haar, der schmale Stirnreif, die mandelförmigen, dunklen Augen, das honigfarbene Gesicht, der schmollende Ausdruck des Mundes, dem der kalte Blick seiner Augen widersprach, die prachtvollen Gewänder aus dunkelroterSeide, die mit goldenen Blitzen bestickt waren … Es war Dongfeng und er war es doch wieder nicht. Dieser Mann schien älter als der Jüngling, der sie so an der Nase herumgeführt hatte. Oder war es der Blick seiner Augen, der ihn

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