Das gefrorene Lachen
abgelenkt. Pippa begannen die Beine einzuschlafen. Sie klopfte energisch gegen die Wand ihres Gefängnisses.
»Laut Probenplan gehört uns jetzt die Manege«, hörte sie dumpf eine Stimme sagen. »Es ist mir ganz egal, was der Inspizient behauptet …« Die Stimme wurde leiser.
Pippa verdrehte die Augen. Das alte Weißgesicht. Der Schrecken des Theaters, vor dem alle Angst hatten. Wenn es auf einen Streit um die Probenzeiten zwischen ihm und Lorenzo hinauslief, war sie sich nicht einmal sicher, wer ihn gewinnen würde. Aber eins war klar: Die Auseinandersetzung würde dauern. Und sie saß hier in der Kiste und konnte sich nur durch Klopfzeichen verständlich machen, denen ganz bestimmt keiner der beiden auch nur im Mindesten Beachtung schenken würde.
Sie schnaufte und stemmte ihre Beine gegen die Seitenwand, wand sich wie ein Aal in dem Behältnis und versuchte das lockere Brett am Kopfende herauszudrücken. Sie wusste, dass dort die Verleimung nicht mehr ganz fest war, weil ihr Vater sich darüber beim Requisiteur beschwert hatte.
Ihre Anstrengungen brachten ihr nicht viel mehr ein als ein paar eingezogene Splitter und das Gefühl, sich die Schulter ausgekugelt zu haben. Sie verschnaufte und lauschte dem Streit der beiden Starrköpfe. Keiner von beiden schien bereit zu sein, auch nur einen Deut nachzugeben, und schon gar nicht, dem anderen die Bühne zu überlassen.
Pippa trommelte ohne große Hoffnung gegen die Seitenwand der Kiste. Die Luft wurde schlechter, und ihr schliefen nun vollends die Glieder ein, sie kribbelten und wurden taub. Dazu kam ihre unausgesprochene Angst davor, allein in einem dunklen Raum eingesperrt zu sein und nicht hinauszukönnen. Pippa war schon einmal für längere Zeit von ihrem Vater in der Kiste vergessen worden und konnte sich nur zu gut daran erinnern, welche Qualen sie ausgestanden hatte – das wollte sie nicht noch einmal erleben.
Die Stimmen entfernten sich. Pippa schlug mit beiden Fäusten gegen das Holz und spürte, wie ihr Tränen der Wut und Angst aus den Augenwinkeln sickerten.
Dann näherte sich jemand, sie hörte die Bretter des Bühnenbodens unter schweren Schritten quietschen. Es rumpelte und die Kiste bewegte sich. Es krachte. Holz splitterte. Licht fiel in ihr Gefängnis.
Ihr Vater schrie: »He, du dummer, fetter Tölpel! Was treibst du da?«
Pippa hörte, wie jemand über die Bühne rannte, und im gleichen Moment brach die Holzkiste auseinander und entließ sie in die Freiheit. Starke Arme umfingen ihre Taille und ihre Kniekehlen und hoben sie aus den Trümmern der Kiste so mühelos in die Luft, als wäre sie eine Puppe. Sie blinzelte ins Licht und schaute in das besorgte Vollmondgesicht des Kraftmenschen. Zarter Blütenzauber stellte sie behutsam auf die Beine, hielt sie fest, weil ihre Knie zitterten, und wischte mit seiner großen Pranke die Tränen von ihrem Gesicht.
Lorenzo stand inzwischen neben ihnen – er hatte das alte Weißgesicht einfach stehen lassen – und schrie den riesigen Koch an. Was ihm einfalle, in eine Probe zu trampeln und Requisiten zu zerstören. Wie er dazu komme, seine Wurstfinger an Lorenzos Tochter abzuwischen. Was er sich dabei gedacht habe, einem Kollegen, der eine weitaus höhere und wichtigere Stellung im Theaterbetrieb einnehme als ein Koch und Kraftmensch, ins Handwerk zu pfuschen.
Der Riese ließ den Wutausbruch mit geduldiger Miene an sich abtropfen wie einen Regenguss. Pippa, die immer noch mit dem Zittern ihrer Knie zu kämpfen hatte, lehnte sich an den riesigen Mann und hielt sich an seinem Gürtel fest. Er roch beruhigend nach Vanille, Schokolade und Nelken.
Jetzt kam der furchterregende Weißclown ebenfalls heranstolziert und betrachtete sie wie ein ekliges Insekt. Er trug auch außerhalb der Vorstellungen immer seinkomplettes Kostüm, entweder das weißseidene, das glitzerte, als wäre es mit Sternenstaub bepudert, oder wie heute eine blutrote Pumphose und das dazu passende Oberteil aus Samt, beides über und über mit bunten Ranken und Blüten bestickt, dazu immer schneeweiße Seidenstrümpfe und weiße Schuhe, einen kegelförmigen weißen Hut und – das Schrecklichste von allem – das kalkweiß geschminkte Gesicht mit dem rot geschminkten, arroganten kleinen Mund und der einzeln aufgemalten, lackschwarzen und sardonisch gewölbten Augenbraue.
Seine schwarz umrandeten Augen, starr wie die einer Eidechse, fixierten Pippa noch einen Moment, dann ließ der Weißclown ihren Anblick fallen wie ein benutztes
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