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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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deutete eine ergebene Verbeugung an, aber Pippa bemerkte den tückischen Blick, der August traf.
    Zarter Blütenzauber, der ebenso wie sie dem Geschehen gefolgt war, drückte ihren Arm. Sie schaute zu ihm auf und er deutete auf den Ausgang.
    Pippa folgte dem Riesen zum Küchenwagen, der deutlich größer, breiter und länger war als die anderen Abteile des Wagenzuges. Der Koch öffnete ihr die Tür und machte eine einladende Handbewegung.
    Pippa war nicht zum ersten Mal im Wohnwagen des Kochs, und sie kam immer wieder gerne hierher, obwohl ihr Vater es ihr untersagt hatte. Es gehöre sich nicht für eine junge Dame, allein den Wagen eines Mannes zu besuchen. Pippa fand aber, dass das nur für fremde Männer galt und nicht für Zarter Blütenzauber, der sieschon auf den Knien gewiegt hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war.
    Der Koch schnaufte erleichtert, als er die Tür hinter ihnen schloss, und griff nach seiner Schürze. Im Küchenabteil nebenan kochten die Kartoffeln für das Abendessen, und eigentlich brauchte der Riese die Schürze jetzt gar nicht, aber Pippa vermutete, dass er sich einfach wohl darin fühlte – wohler jedenfalls als in seinem Kraftmenschen-Kostüm.
    Er bedeutete Pippa, sie solle es sich gemütlich machen, und verschwand in den Küchenwagen. Pippa ließ sich auf das breite, durchgesessene Sofa fallen, zog die bunte Steppdecke über sich und lag eine Weile halb schlafend in der bunt schimmernden Dunkelheit. Das Ofenfeuer, das Zarter auch im heißesten Sommer brennen ließ, knackte und knisterte leise, der Wagen schwankte wie ein Boot auf dem Wasser, Pippa hörte den Riesen leise hin und her gehen, mit Geschirr klappern und Dinge bewegen. Dann knarrte ein Bodenbrett laut, das Sofa senkte sich wie eine Hängematte, und Pippa rollte zur Seite auf die Kuhle zu, die der große Mann neben ihr in das Möbel saß. Sie landete halb auf seinen Knien und wickelte sich glucksend aus der Decke.
    Der Koch lachte sie an und hielt ihr eine große Tasse hin, aus der es wunderbar süß nach heißer Schokolade duftete. Pippa nickte begeistert und nahm die Tasse entgegen.
    Zarter tippte ihr sacht auf die Schulter, und als Pippa ihn fragend ansah, machte er vor ihrem Gesicht eine schnelle wedelnde Bewegung mit seiner großen Hand.
    »Was meinst du?«, fragte Pippa und riss gleich darauf erstaunt die Augen auf. »Ach!« Sie fasste sich unwillkürlich an die Kehle. »Ach, was für ein Glück! Er hat doch noch daran gedacht.« Beim letzten Mal war sie fast zwei Tage ohne Stimme herumgelaufen, ehe Lorenzo sie von dem Zauber befreit hatte. Das war ganz schön lästig und ärgerlich gewesen.
    Zarter Blütenzauber lächelte und nahm eine Tasse in die Hand, deren Inhalt zart nach Jasmin roch. Er nippte daran und verzog das Gesicht.
    Pippa, die voller Glückseligkeit von ihrer heißen Schokolade getrunken hatte und sich nun die Lippen leckte, sah ihn besorgt an. »Zarter«, sagte sie mitleidig, »hast du schon wieder deine Kopfschmerzen?«
    Dem Riesen rann eine einzelne Träne aus dem Auge, dann eine zweite und eine dritte. Er wischte sie ungeduldig weg und schüttelte den Kopf. Nicht so schlimm, schien sein Gesicht zu sagen. Mach dir keine Sorgen, sagte die Pranke, die er sacht auf ihr Knie legte.
    Sie tranken ihre duftenden Getränke und waren zufrieden, einfach nur nebeneinanderzusitzen. Pippa sah sich in der gemütlichen, mit kleinen Dingen vollgestopften Wohnung des Riesen um. Zarter liebte hübsche zierliche Gegenstände, die er auf schmalen Borden sammelte. Da war ein kleines Lämmchen aus Porzellan, ein niedliches Hundebaby, das die Pfote hob und mit schief gelegtem Kopf bittend aufschaute, eine Tänzerin, die in graziöser Pose ihr Bein streckte, ein Häschen aus Plüsch, dem ein Ohr fehlte – alles Dinge, an denen Pippa sich als Kind nicht hatte sattsehen können.
    Die dem Sofa gegenüberliegende Wand war bedeckt mit winzigen Zettelchen aus dünnem Seidenpapier, die mit kunstvollen Pinselstrichen beschrieben waren.
    Pippa erinnerte sich noch daran, wie Zarter ihr zum ersten Mal einen Glückskeks geschenkt hatte. Damals hatte sie nicht gewusst, was das seltsame kleine Gebäckstück bedeutete. Sie hatte es in den Mund gesteckt und zerbissen und gleich darauf wieder ausgespuckt. Es war hart und schmeckte scheußlich, und in seinem Inneren verbarg sich etwas ganz und gar Ungenießbares – ein kleines Stück Seidenpapier mit zerlaufender, spinnenbeinfeiner schwarzer Schrift darauf.
    Zarter Blütenzauber

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