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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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Lippen zusammen. Das war richtige Magie, wie der Scheinwerfer, dabei legte Lorenzo sonst immer allergrößten Wert darauf, dass auf der Bühne ausschließlich perfekte Taschenspielerei, fingerfertige Tricks und lupenreiner Illusionismus stattfanden. Wenn er echten Zauber anwandte, bedeutete das, dass er richtig schlecht gelaunt war.
    Der Zauberer hatte die Stirn gerunzelt. Er drehte ein chinesisches Kästchen in den Händen, als hätte er vergessen, warum sie hier waren. Dann stellte er das Kästchen mit einem lauten Knall auf den Tisch, trat zurück in den Schatten und zischte: »Los.«
    Pippa bewegte sich in den Lichtkegel, vollführte einen anmutigen Knicks und bereitete mit einer großen Armbewegungden Auftritt ihres Vaters vor. Eigentlich hätte sie an dieser Stelle gerne etwas gesagt wie: »Hochverehrtes Publikum, der Große und Unvergleichliche Lorenzo« – oder so ähnlich, aber Lorenzo wollte nicht, dass seine Assistentin sprach oder überhaupt mehr tat, als nur lächelnd Dinge bringen und wegräumen und Freiwilligen aus dem Publikum eine helfende Hand reichen, wenn sie auf die Bühne kletterten.
    Der Weg in die Bühnenmitte, den sie sonst zu nehmen pflegte, wurde von zwei bemalten Prospekten versperrt, die zu dem neuen Stück gehörten. Sie zu umrunden kostete einige Zeit.
    »Papa?«, sagte Pippa. »Soll ich nicht lieber von dort hinten auftr...«
    Lorenzo machte eine wegwerfende Bewegung mit der linken Hand und Pippas Stimme war fort. Sie schloss den Mund nach ein paar tonlosen Bewegungen und zuckte resigniert mit den Achseln. Er hatte wirklich schlechte Laune heute.
    Stumm begleitete sie den Auftritt ihres Vaters, der mit flüssiger Routine und ohne große Begeisterung sein Programm herunterspulte. Bunte Kugeln und Seidentücher tauchten auf und verschwanden wieder, Tauben flatterten aus allen möglichen Behältnissen und aus den Ärmeln seines Fracks, er zog Kaninchen und mit schriller Stimme schimpfende Kobolde aus seinem Zylinder, verwandelte Wasser in Wein und danach in einen blühenden Rebstock, er schleuderte seinen Zauberstab in die Luft und tausend blitzende Plättchen schneiten auf die Bühne, er klatschte und hielt den Zauberstab wiederin der Hand, der sich gleich darauf in einen Rosenstrauß verwandelte – alles wunderschöne fingerfertige Manipulationen.
    Manche dieser Tricks waren kompliziert und schwer auszuführen und wären doch so einfach gewesen, wenn er nur echte Magie angewendet hätte. Aber das ist nicht dasselbe, wiederholte Pippa stumm Lorenzos Motto.
    Jetzt kamen die Freiwilligen aus dem Publikum, denen er Dinge aus den Taschen zauberte und andere hinein, deren Gedanken er las, von denen er sich fesseln ließ, die er hypnotisierte … Pippa tat so, als holte sie Leute aus dem Zuschauerraum und führte sie ihm zu, sie lächelte und knickste und zeigte mit großer Geste auf den Zauberer, und die ganze Zeit über drückten ihre Schuhe und kniff das Mieder, und ihr Magen knurrte, weil sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte.
    Dann ertönte ein neuerlicher Trommelwirbel, der das große Finale ankündigte. Das Licht wurde dunkler und Lorenzo spuckte ein wenig Feuer, während Pippa die lackschwarze Kiste hereinrollte. Sie hasste diesen Teil der Nummer, weil sie bei den Illusionen immer in irgendwelche kleinen Behältnisse kriechen und sich dort zusammenfalten musste, während ihr Vater mit Sägen und Degen und Messern um sie herumfuhrwerkte. Sie hasste es, in kleine, enge Kisten eingesperrt zu sein, aber das war Teil ihrer Ausbildung zur Zauberer-Assistentin. Wer sich nicht in Stücke sägen lassen oder in einer hutschachtelgroßen Kiste komplett umziehen konnte, durfte auf keine Anstellung bei einem Magier hoffen.
    Lorenzo stand im kleiner und trüber gewordenenLichtkegel, der sein schulterlanges rotes Haar geheimnisvoll schimmern ließ. Sein bleiches, scharfes Gesicht mit den grün funkelnden Augen und dem spitzen Ziegenbart über der weißen Hemdbrust sah in dieser Beleuchtung noch viel dämonischer aus als bei Tageslicht. Pippa schauderte. Das ist nicht mein Vater, flüsterte es in ihrem Kopf. Nicht mein Vater …
    Sie kletterte in die Kiste, öffnete die Bodenklappe und zwängte sich in das verborgene Gelass im Boden. Sie zog die Klappe hinter sich zu, starrte in die Dunkelheit und hörte ihren Vater zu dem nicht anwesenden Publikum sprechen.
    Dann verstummte er. Pippa wartete darauf, dass die Nummer ihren Lauf nahm, aber Lorenzo wurde anscheinend durch irgendetwas

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