Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
Vom Netzwerk:
Miene.
    »Ja«, sagte sie gleichgültig. »Tu das.« Sie wandte sich ab, um das bleiche spitzbärtige Gesicht des Magiers nicht mehr anschauen zu müssen. Nicht mein Vater, nicht mein Vater, klang der Refrain in ihrem Kopf.
    »Können wir dann an die Arbeit gehen?« Ohne sie weiter zu beachten, räumte der Magier seine Utensilien in seine große schwarze Tasche und reichte sie Pippa. Er nahm den rotseiden gefütterten Umhang vom Haken, schüttelte ihn aus und warf ihn um die Schultern. »Hut«, befahl er mit einem Fingerschnipsen.
    Pippa hob den hohen, glänzenden Zylinder von dem grinsenden Perückenkopf auf dem Schminktisch und reichte ihn Lorenzo. Der schlug den Hut hart gegen seine Handkante, ließ zwei Tauben daraus auffliegen und deutete zur Tür.
    *
    Pippas Augen brauchten einen Moment, um sich nach dem hellen Sonnenlicht an die schummrige Beleuchtung im Inneren des Holzbaus zu gewöhnen. Sie blieb am Eingang stehen, atmete tief ein und genoss den Duft nach frischem Holz, Leim, Sägemehl und Tieren. Lorenzo schritt indessen an ihr vorüber auf die Bühne zu, die etwas außerhalb der Mitte des großen Rondells aufgebaut worden war. »Licht«, befahl er mit schneidender Stimme, und ein einzelner Lichtkegel riss eine Bahn in die Dunkelheit und zeichnete einen hellen Kreis auf den Bühnenboden. »Wo bleibst du?«
    Pippa seufzte unhörbar und lief hinter ihrem Vater her.
    Er war schon damit beschäftigt, seinen Tisch aufzubauen. Pippa, die jede dieser vorbereitenden Handreichungen inzwischen im Schlaf beherrschte, half ihm schweigend dabei, die Utensilien zurechtzulegen, die spanische Wand schräg hinter den Tisch zu stellen, die Zauberkiste aufzuklappen und alles so einzurichten, wie Lorenzo der Große es für seine Vorstellung benötigte.
    »Zieh dich um«, sagte er, nachdem alle Requisiten an Ort und Stelle lagen – auf dem Tisch, in der Kiste, hinter dem Paravent, in Lorenzos Frack und Zylinder und an einigen Stellen, die höchst geheim bleiben mussten.
    »Ach, Papa, muss ich wirklich …?« Pippa hasste ihr Kostüm, das unter den Armen kniff und ihr allzu deutlich zeigte, dass immer noch ein paar Zentimeter an der Oberweite fehlten, um dem knappen Mieder den angemessenenSitz zu geben. Stattdessen musste sie Polster hineinstopfen, die dazu neigten, im falschen Moment herauszufallen oder an Stellen zu rutschen, an denen Polsterungen nicht wirklich erwünscht waren.
    »Umziehen!« Das klang schon gefährlich zornig, deshalb verzichtete Pippa lieber auf weitere Einwände und lief hinter die Bühne, wo ein kleines Kabuff als Proben-Umkleideraum diente.
    »Hallo, Pippa, wieder fleißig?«, grüßte ein Bühnenarbeiter, an dem sie vorbeilief. Er trug eine große Rolle Seil, eine Kiste mit Nägeln und einen schweren Hammer in den Händen und hatte die Beine seiner Latzhose hochgekrempelt. Darunter schaute ein Paar kräftig behaarter Bocksbeine hervor, deren Hufe auf dem Bretterboden klackerten wie Kastagnetten. Er legte den Hammer ab und machte Anstalten, unter das Bühnenpodest zu kriechen.
    »Hallo, Hans«, rief sie zurück. »Pass auf deine Hörner auf, sonst bleibst du wieder hängen!«
    Er grinste und winkte ihr zu, dann verschwand er unter dem Podest.
    »Wie lange willst du mich noch warten lassen?«, hörte sie Lorenzo rufen.
    »Ich bin sofort bei dir«, antwortete Pippa und sprang förmlich in ihr Kostüm. Sie entschied, den komplizierten Strumpfhalter und die durchbrochenen Strümpfe einfach wegzulassen und mit nackten Füßen in die hohen Schuhe zu steigen. Die vielen Haken und Ösen des Vorderteils brachten sie noch einmal ins Schwitzen, aber dann saß alles an Ort und Stelle. Sie bauschte noch einmaldie zerdrückten Rüschen des kurzen Röckchens auf und rannte hinaus zu ihrem ungeduldig mit dem Zauberstab auf den Tisch tappenden Vater.
    »Wie siehst du aus?«, empfing er sie mit emporgezogenen Brauen. »Ist das eine Frisur?«
    »Papa, es ist nur eine Probe«, erwiderte sie. »Ich habe auch keine Schminke aufgetragen, siehst du?«
    »Wenn du die Proben nicht ernst nimmst, wirst du es in unserer Kunst nie zu etwas bringen.« Er musterte sie vom Kopf bis zu den nackten Füßen und schüttelte den Kopf. »Deine Mutter wäre sehr enttäuscht von dir. Sie war eine großartige Assistentin – die allerbeste!«
    Und sie ist dir davongelaufen, dachte Pippa wütend. Mit deinem Gehilfen. Und ohne mich!
    »Fangen wir an.« Lorenzo ließ seinen Mantel wehen, aus der Luft ertönte ein Trommelwirbel. Pippa kniff die

Weitere Kostenlose Bücher