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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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böse wie mein Vater und wie das alte Weißgesicht! Ganz genauso böse!« Sie ließ ihn los und warf sich auf das Sofa, schlang ihre Arme um sich und biss die Zähne zusammen, um nicht zu weinen. Zarter Blütenzauber war immer ihr Freund gewesen, warum verriet er sie nun?
    Der Riese saß reglos da. Dann hob er zögernd eine Hand und zog den Tuschestein, die flache Reibschale aus Schiefer und seinen Pinsel über den Tisch. Er saß eine Weile über die Schreibutensilien gebeugt da und schien gegen irgendetwas anzukämpfen. Dann hob er wieder langsam und unsicher die Hand und griff nach dem Tuschestein.
    Pippa sah ihm mit angehaltenem Atem zu. Der Riese beugte sich noch tiefer über den Tisch, setzte den Stein auf die Reibeschale und zögerte erneut. Pippa hatte ihm schon oft dabei zugesehen, wie er die Tusche für seine Gedichte mit einem Rest aus seiner Teetasse anrieb, deshalb erwartete sie, dass er nun seinen Becher über der Reibschale austropfen lassen würde, aber Zarter Blütenzauber tat nichts dergleichen. Er saß immer noch reglos da und schien auf etwas zu warten. Sein Gesicht lag im Schatten des Lampenlichts, und sie konnte das Weiße in seinen Augen glänzen sehen.
    Dann begann er mit langsamen, stetigen Bewegungen die Tusche anzureiben. Eine zartgraue, langsam dunkler werdende Pfütze sammelte sich in der Vertiefung der Reibschale.
    Pippa beugte sich vor, und jetzt sah sie, dass ein steter, dünner Strom von Tränen aus seinen Augen über das breite Gesicht in die Reibschale tropfte. Zarter rieb die Tusche mit langsamen, beinahe zärtlichen Bewegungen an, bis sie tiefschwarz und glänzend die Mulde der Steinschale füllte.
    Pippa schluckte. »Zarter«, sagte sie leise. »Ich wollte dir nicht wehtun. Bitte verzeih mir.«
    Zarter Blütenzauber blickte nicht auf und hielt nicht inne. Er legte den Tuschestein beiseite und griff nach einem Pinsel aus feinem Eichhörnchenhaar. Er tauchte ihn in die lackschwarze Tusche, streifte ihn ab, bis die Spitze des Pinsels so dünn war wie eine Feenwimper und setzte den Pinsel dann behutsam auf das hauchzarte Seidenpapier.
    Pippa hielt bei diesen fragilen Verrichtungen den Atem an aus Angst, der geringste Hauch könnte alles zerstören.
    Der Pinsel zog nun zierliche Buchstaben auf das Papier, tauchte nach jedem Schwung neu in Tusche, wurde abgestreift, wieder auf das Papier gesetzt – bis das kleine Blatt mit kunstvoll verteilten Worten geschmückt war.
    Zarter Blütenzauber säuberte den Pinsel, legte ihn in die Schale zu den anderen zurück und sah Pippa an. Seine Miene war freundlich, aber seine Wangen schimmerten immer noch feucht.
    »Darf ich es lesen?«, fragte Pippa, deren Herz bis zum Hals schlug.
    Zarter Blütenzauber schaute auf das beschriebene Blatt hinab, dann hob er in einer Geste, die zwischen Erstaunen und Resignation schwankte, die Schultern und reichte Pippa sein Werk.
     
    Zwingender Zauber
Wandelbar wie Wasser
Tränen und Trauer töten das Wort
    las Pippa. Sie blickte auf, und ihre Enttäuschung spiegelte sich in den Augen des Kochs. Er neigte den Kopf und legte das Gesicht in die Hände. Ich kann es nicht besser, sagte seine Geste.
    Pippas Zorn hatte sich in den Tränen des Kochs aufgelöst. Sie legte voller Mitleid ihre Hand auf seinen Arm und sagte: »Sei nicht so verzweifelt, Zarter. Wir finden einen Weg aus diesem Rätsel, das verspreche ich dir.«
    Es war ein Rätsel, auch wenn sie weder die Frage kannte noch wusste, wo sie nach der Antwort suchen sollte. Aber Zarter Blütenzauber war nicht ihr Feind und würde es auch niemals sein. Der Gedanke gab ihr ein Lächeln, das sie gleich an den Koch weiterschenkte. »Komm, lass uns etwas kochen«, schlug sie vor. »Du bist immer gut gelaunt, wenn du etwas kochst, und ich habe Hunger.«
    Sein betrübtes Gesicht hellte sich auf. Er sprang auf die Füße, dass der Boden bebte, und war schon halb im Küchenabteil verschwunden, als er noch einmal zurückkehrte. Er beugte sich über den Tisch, klaubte behutsam die vier dünnen Papierchen auf und heftete sie an die Wand zu den anderen.
    Pippas Blick fiel auf das Wort »Spiegelbrüder« und sie schauderte. Schnell wandte sie die Augen ab und ließ ihren Blick über die vielen, vielen Gedichte an der Wand wandern. Wie viele Glückskekse hatte Zarter Blütenzauber ihr schon geschenkt? Jedes einzelne Gedicht hing nun hier auf der rauen Bretterwand und zitterte wie ein Schmetterling mit den Flügeln, bereit zum Abflug.
    Pippa pustete sacht dagegen, bis die

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