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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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knirschte leise.
    »Der Nordturm«, grollte Archidamus und hustete. Sein Husten rollte wie ferner Donner durch das Gebälk. »Ach, der Nordturm!«
    Gadshill stimmte eine Terz höher ein. »Der Südturm«, pfiff er wie der Wind, der um einen hohen Turm bläst. »Ach, der Südturm!«
    Beide Wasserspeier pfiffen und grollten eine Weile im Duett, dann verstummten sie wieder.
    Pippa hielt sich den Kopf. »Welcher Nordturm?«, fragte sie. »Welcher Südturm?«
    Die Wasserspeier schwiegen. »Keine Tauben mehr«, wisperte Gadshill. Seine spitze Nase zuckte bedauernd. »Aber bring uns zurück, Philippa Saffronia. Bring uns alle nach Hause.«
    Er sprang auf und kletterte ins Dunkel empor. Pippa rief ihm nach: »Gadshill. Bitte bleib doch, bitte!«
    »Nach Hause«, grollte Archidamus. »Ach, ach, der Nordturm!« Seine massige Gestalt drückte sich in den Schatten und verschmolz mit der Dunkelheit.
    Nordturm, flüsterte das Echo. Südturm, pfiff der Wind.
    Philippa wurde schwindelig. Sie griff hastig nach dem Balken und klammerte sich fest. Das Theater schwankte nun wie ein Schiff im schweren Seegang. Pippa legte den Kopf auf den Balken und wartete, bis das Schwanken aufhörte und in ihrem Kopf nicht mehr alles um und um kreiselte.
    Sie richtete sich vorsichtig auf und sah sich um. Tauben gurrten und Dohlen kreisten krächzend über dem Theater. Stimmen murmelten tief unter ihr und eine Trompete spielte einen lauten, fröhlichen Marsch. Die Kindervorstellung auf dem Vorplatz hatte begonnen.

10
    Nun jag’ ich euch, und führ’ euch kreuz und quer,
Durch Dorn, durch Busch, durch Sumpf, durch Wald.
    Ein Sommernachtstraum
    Die Probe schien beendet, auf der Bühne und dahinter waren nur noch die Bühnenarbeiter und Requisiteure damit beschäftigt, alles für die Abendvorstellung vorzubereiten.
    Pippa achtete kaum darauf, wohin sie ging. Deshalb schrak sie heftig zusammen, als jemand ihren Arm packte und sie festhielt. »Pippa«, sagte eine Stimme, »warum rennst du einfach so an mir vorüber?«
    Sie brauchte einen Moment, um sich auf den Sprecher zu konzentrieren. »Ach, Lancelot«, sagte sie dann.
    »Das klingt aber begeistert.« Der junge Schauspieler verschränkte die Arme vor der Brust und warf gekränkt den Kopf zurück.
    »Lancelot!« Pippa gab sich Mühe, erfreut zu klingen. »Lieber Lancelot!«
    Der junge Mann war schon versöhnt. Er nahm ihre Hand und drückte sie an die Lippen. »Du siehst ganz und gar entzückend und hinreißend aus«, sagte er feurig. »Deine Wangen blühen wie die Rosen im Sommer und deine Augen glänzen wie die Sterne am Himmel.«
    Und meine Nase ist rot wie das Herdfeuer im Küchenwagen,dachte Pippa und lächelte den jungen Mann an. »Das hast du sehr nett gesagt, Lancelot. Sei mir nicht böse, ich muss jetzt …«
    Er sah sich hastig nach rechts und links um, dann umfasste er ihre Taille, zog sie an sich und gab ihr einen Kuss.
    »Lancelot«, sagte Pippa atemlos und schob ihn mit beiden Händen weg. »Wenn das mein Vater gesehen hätte, wären wir beide tot.«
    Es hatte wie ein Scherz klingen sollen, aber was herauskam, war ein herzzerreißender Aufschrei. Lancelot fuhr zurück, als hätte ihn eine Hornisse gestochen, und sah sich erschreckt um. »Dein Vater? Wo?«
    Im Hinauslaufen rief Pippa: »Wir sehen uns morgen, Lancelot!«
    Auf der kleinen Außenbühne sprang und hüpfte mit rollenden Augen und wackelnden Ohren Gobbo, das lustige Pferd, herum, streckte die Zunge heraus, hob die Füße zu Tanzschritten und wieherte schrill, wenn der Weißclown es mit seiner Gerte auf den Hintern schlug. Die Kinder vor der Bühne lachten und kreischten, und Pippa dachte an den armen, zerschlagenen August, der das Hinterteil des Pferdes spielen musste. Herrn Alonsos Gerte sah verflucht echt aus – und war es wahrscheinlich auch.
    Sie rannte an der Bühne vorbei. Die bunten Farben und die lauten Geräusche schmerzten wie Schläge. Pippa rettete sich in den Küchenwagen und schlug die Tür hinter sich zu. »Zarter?«, sagte sie leise. Aber um diese Zeit half der Kraftmensch immer den Bühnenarbeiternmit den schweren Teilen. Sie ging in das Küchenabteil und hob den Deckel von einem leise blubbernden Topf. Gemüsesuppe. Sie probierte ohne großen Appetit einen Löffel davon, gab etwas Salz hinzu und legte den Deckel wieder auf. Der Wasserkessel war heiß, sie goss sich einen Kräutertee auf und kuschelte sich auf das tröstlich weiche Sofa.
    Schwarz, weiß und rot, dachte sie. Der Weißclown – weiß und schwarz

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