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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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fuchtelte mit den Händen und war überall gleichzeitig, stand manchmal im Weg und manchmal genau richtig, niemand wusste so recht Bescheid, aber alle taten, was sie immer taten, und so war irgendwann am Abendalles bis auf den letzten Nagel verstaut und zusammengebunden, verschnürt und verpackt, eingetütet und aufgebockt, hochgeladen und irgendwo hineingeschoben, und alle saßen völlig erledigt, erschöpft und erschlagen auf dem leer geräumten Platz, der morgen wieder der alte Hutanger sein würde.
    Zarter Blütenzauber brachte einen riesigen Kessel voller Suppe, einen Waschkorb mit belegten Broten und ein großes Fass Bier. Abreisetag.
    Der Anblick des leeren, zertrampelten und öden Platzes, der gestern noch ein farbenfroher, vor Leben und Zauber sprühender Ort gewesen war, versetzte Pippa immer in einen Zustand zartgrauer Melancholie. Es war schön, irgendwo anzukommen und dabei zuzusehen, wie das Theater in die Höhe wuchs. Die Ankunft war immer begleitet von Vorfreude, Spannung, der kribbeligen Ungewissheit, was der neue Spielort für einen Geschmack und Geruch hatte, wie er sich anfühlte, ob es ein Platz war, der das Rund der Wagen nach und nach mit Lachen und Beifall, Zauber, Staunen und Entzücken füllen würde.
    Das nahmen sie dann mit auf die Reise an den nächsten Ort, der wieder ganz anders war und den man sich erst zum Freund machen musste.
    Pippa sah zu, wie nach und nach die allerletzten Dinge in den Wagen verstaut wurden, wie Zarter Blütenzauber seinen Wagen betrat (und dabei den Kopf einzog), wie August mit einem Winken in ihre Richtung im großen Wagen des Prinzipals verschwand, und dann war sie ganzallein auf dem Platz. Alle Stimmen waren verstummt, nur das Schnaufen der mächtigen Dampfmaschine sprach noch zu ihr. Dies war der Moment, in dem der Zug zum Leben erwachte. Pippa konnte sich von diesem Anblick nie losreißen, seit sie ihn das erste Mal miterlebt hatte. Es war gefährlich, jetzt noch draußen zu stehen, sich nicht im Inneren des langen Theaterzugs zusammenzukauern und die Abfahrt über sich ergehen zu lassen. Pippa wusste, dass sie den rechten Moment nicht versäumen durfte, noch in ihren Wagen zu springen und die Tür hinter sich zu verschließen. Aber ihre Furcht war um ein Winziges geringer als die Sehnsucht danach, diesen wunderbaren, großen Zauber miterleben zu dürfen, der einen langen Wagenzug in ein Wesen verwandelte, das sie sicher und sanft zu ihrem Ziel bringen würde. In die Residenz.
    Eine weiße Dampfwolke hüllte den Zug ein. Schnaufend und ächzend wie ein lebendiges Wesen schüttelte sich der Wagenwurm und erhob sich auf kräftige, kurze Tatzen, die erwartungsvolle Furchen in den Boden scharrten. Jetzt gleich war es so weit. Der Kopf des Zuges, der erste Wagen, der die großen Dampfwolken ausstieß und der die Verwandlung anleitete, streckte sich in die Länge. Der große Kessel veränderte seine Form und wurde schuppig, die Laternen blinzelten träge, der Dampf wurde zu Rauch, der aus waschzubergroßen Nüstern quoll. Lider hoben sich von gelbgrün funkelnden Augen, eine gespaltene Zunge glitt über scharfe Zähne, ein lang gestrecktes Maul schnappte beiläufig nach einem Kaninchen, das erschreckt davonsprang.
    Der lange stachelbewehrte Hals reckte sich. Schultern hoben sich aus dem Gras, Beine stemmten das Gewicht des Lindwurms in die Luft. Jetzt war der Moment gekommen. Pippa riss sich von dem Anblick los, der sie auf den Platz zu bannen drohte, und sprang auf die Stufen, die zu ihrem Wagen emporführten. Ihre Finger glitten über ledrige Haut, tasteten über einen kantigen Knochen, rissen an einer Klinke, die zu scharfkantigen Schuppen wurde und ihre Hand zerschnitt, die Tür öffnete sich mit einem scheußlich schmatzenden Laut und schlug ihr in die Fersen, als sie zudonnerte und mit der Wand verschmolz.
    Der Wagen bebte und schwankte von einer Seite auf die andere, als die Verwandlung weiter voranging. Pippa konnte nur erahnen, was draußen geschah. Der lange Wurm erhob sich auf seine Füße und machte sich auf den Weg zu ihrem nächsten Ziel.
    Sie kletterte in ihre Hängematte und ließ sich in der warmen, atmenden Dunkelheit in den Schlaf wiegen, der sie erst wieder aus seinen Armen entlassen würde, wenn sie an ihrem Ziel angelangt waren.
    Schaukelnde Stille. Drachenschlaf. Reiseträume.

13
    Nicht jede Wolke erzeugt ein Ungewitter.
    Heinrich IV.
    »Ein Theater?« Der Wirt hob gleichgültig die Schultern. »Na und?«
    Der Fuhrmann Jasper spuckte

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